Miteigentum: Teilgläubigerschaft bezüglich Kaufpreisrestforderung

Aktivlegitimation bei einer Mehrheit von Gläubigern

Sachverhalt

A.X. und B.X. verkauften als Miteigentümer das ihnen je zur Hälfte zustehende Grundstück an Y. und Z., ebenfalls je zu hälftigem Miteigentum. Der Kaufpreis wurde grösstenteils bezahlt; streitig und unbezahlt blieb eines Kaufpreisrestanz von CHF 160‘000. In der Folge betrieben A.X. den Käufer Y. über CHF 80‘000 und B.X. den Käufer Z. für CHF 80‘000 und erhielten je die provisorische Rechtsöffnung.

Prozessgeschichte

In den Aberkennungsprozessen stellte sich die Frage nach der Aktivlegitimation von A.X. und B.X. Die zuständigen St. Galler Gerichte nahmen eine sog. gemeinschaftliche Gläubigerschaft, verneinten aus diesem Grund die Aktivlegitimation der Kläger zur getrennten bzw. je hälftigen Geltendmachung der Kaufpreisrestanzen und schützten die Aberkennungsklagen von Y und Z.

Das Bundesgericht

Erwägungen des Bundesgerichts

Bei der Berechtigung mehrerer Gläubiger an einer Forderung stellt sich die Frage nach der rechtlichen Einordung bzw. Abgrenzung. Entsprechend setzte sich das Bundesgericht mit der Thematik auseinander (Erw. 2.2):

  • Einzelgläubigerschaft
    • Gläubiger
      • Jeder Gläubiger ist berechtigt, ohne Mitwirkung der andern, also selbständig, das Ganze und nicht nur einen Teil der Leistung zu verlangen
    • Schuldner
      • Der Schuldner hat nur einmal zu leisten und wird so befreit
    • Anwendungsfälle
      • In OR 150 geregelt Solidarbürgschaft
        • Beispiel: „compte-joint“ (gemeinsames Bankkonto)
      • Literatur
        • GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Bd. II, 9. Aufl. 2008, N. 3861
        • HUGUENIN, Obligationenrecht, Allgemeiner und Besonderer Teil, 2012, N. 2320
        • TERCIER/PICHONNAZ, Le droit des obligations, 5. Aufl. 2012, N. 1655
      • Judikatur
        • BGE 94 II 167, Erw. 3
  • Gemeinschaftliche Gläubigerschaft
    • Gläubiger
      • Die gesamte Forderung steht den Gläubigern ungeteilt zu, und zwar so, dass alle Gläubiger die Forderung nur gemeinsam geltend machen können
    • Schuldner
      • Der Schuldner kann sich nicht durch Leistung an einen einzelnen Gläubiger befreien, sondern nur durch Gesamtleistung an alle Gläubiger
    • Anwendungsfall
      • Nach der Lehre entsteht eine gemeinschaftliche Gläubigerschaft grundsätzlich nur dann, wenn unter den Gläubigern ein Gesamthandverhältnis besteht
    • Literatur
      • GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, a.a.O., N. 3872; HUGUENIN, a.a.O., N. 2324
      • TERCIER/PICHONNAZ, a.a.O., N. 1654
      • VON TUHR, Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, II. Halbbd., Tübingen 1925, S. 682
  • Teilgläubigerschaft
    • Gläubiger
      • Mehrere Gläubiger sind unabhängig voneinander pro rata an einer teilbaren Forderung berechtigt, wobei die Leistung in ihrer Gesamtheit nur einmal zu erbringen ist
      • Jeder Gläubiger kann selbständig den ihm zustehenden Teil der Leistung verlangen
      • Die Teilforderungen bilden hier nur insoweit ein Ganzes (eine ganze Forderung), als sie aus dem gleichen Rechtsgrund entstanden sind
    • Schuldner
      • Der Schuldner muss den entsprechenden Teil an jeden Gläubiger separat leisten
    • Anwendungsfälle
      • Die Teilgläubigerschaft ist bei vertraglichen Obligationen von Gesetzes wegen der Regelfall
      • Bei teilbaren Leistungen wie Geldforderungen ist im Zweifelsfall von Teilgläubigerschaft auszugehen
      • Die Teilgläubigerschaft entsteht auch bei einem gemeinsamen Vertrag, d.h. wenn mehrere Vertragsgenossen, unter denen kein Gesamthandverhältnis besteht, auf einer Vertragsseite kontrahieren
        • Miteigentümer, die ihre Liegenschaft als Ganzes verkaufen, sind – wie hier -Teilgläubiger, welche unabhängig voneinander je einen Teil der Kaufpreisforderung gegenüber der Käuferschaft geltend machen können
    • Literatur
      • HUGUENIN, a.a.O., N. 2319; BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 487
      • TERCIER/PICHONNAZ, a.a.O., N. 1653
      • HUGUENIN, a.a.O., N. 2319
      • GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, a.a.O., N. 3857
      • KELLER/SCHÖBI, Gemeinsame Rechtsinstitute für Schuldverhältnisse […], 1984, S. 35
      • VON TUHR, a.a.O., S. 677
      • GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, a.a.O., N. 3856
      • HUGUENIN, a.a.O., N. 2319
      • ALFRED KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2009, § 76 N. 6 mit Hinweis auf § 420 des deutschen BGB [„Schulden mehrere eine teilbare Leistung oder haben mehrere eine teilbare Leistung zu fordern, so ist im Zweifel jeder Schuldner nur zu einem gleichen Anteil verpflichtet, jeder Gläubiger nur zu einem gleichen Anteil berechtigt“]
      • SCHWENZER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2012, 89.05 (a.Mg. als HUEGUENIN, N 2319)
      • VON TUHR, a.a.O., S. 682
      • GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, a.a.O., N. 3858

Zur Anwendung der vorstehenden grundsätzlichen Ausführungen auf den Fall zweier Miteigentümer, die ihre Liegenschaft als Ganze verkaufen, hielt das Bundesgericht nach dogmatischer Bezugnahme fest (Erw. 2.3).

„… Denn selbst wenn die Miteigentümer wie hier die Sache als Ganzes verkaufen, begründen sie als Vertragsgenossen im Regelfall lediglich eine gemeinsame Vertragspartnerstellung, nicht jedoch eine Gesamthand. Sie sind damit nicht gemeinschaftliche Gläubiger, sondern Teilgläubiger.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lässt schliesslich auch eine objektive Auslegung des vorliegenden Grundstückkaufvertrags nicht auf die Vereinbarung einer gemeinschaftlichen Gläubigerschaft schliessen. Denn allein aufgrund des Umstands, dass das gesamte Grundstück gegen eine Gesamtzahlung veräussert wurde, durften die Beschwerdegegner nach Treu und Glauben nicht davon ausgehen, dass die Verkäufer ihre Kaufpreisforderung nur gemeinsam geltend machen können, zumal diese am Kaufobjekt als Mit- und nicht als Gesamteigentümer berechtigt waren und in der Vertragsurkunde auch als Miteigentümer zu je 1/2 aufgeführt wurden.

Es ist somit vorliegend entgegen der Auffassung der Vorinstanz vom Regelfall der Teilgläubigerschaft auszugehen, d.h. der Aktivlegitimation der Verkäufer in Bezug auf je die Hälfte der ausstehenden Kaufpreisforderung. Die Passivlegitimation der Käufer ist unbestritten.“

Urteilsdispositivs des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde teilweise gut, hob den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen auf und wies die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts sowie zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Die Gerichtskosten wurden (unter solidarischer Haftbarkeit, intern zu gleichen Teilen) den Beschwerdegegnern auferlegt. Zudem müssen die Beschwerdegegner die Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren entschädigen (ebenso unter solidarischer Haftbarkeit und intern zu gleichen Teilen).

Entscheid über wichtige Alltagsfrage

Der Bundesgerichtsentscheid löst nachvollziehbar und praktikabel eine bisher offene wichtige Rechtsfrage zum Grundstückverkauf durch Miteigentümer. Damit erscheint die verbreitete Ansicht, dass beim Verkauf einer im Miteigentum gehaltenen Liegenschaft im Aussenverhältnis eine einfache Gesellschaft unter den Miteigentumsverkäufern angenommen wird, als unrichtig.

Quelle

BGE 4A_465/2013 vom 03.03.2014 = BGE 140 III 150 ff.

Weiterführende Informationen / Linktipps zum Miteigentum

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