Verkehrsrecht – Geschwindigkeitskontrolle ohne kalibriertes Nachfahrmesssystem mittels blosser Geschwindigkeitsmesser-Ablesung

SVG 90 Abs. 2; SVG 106 Abs. 1; SKV 9 Abs. 2; VSKV-ASTRA 6 ff.

Richterliche Würdigung

Erfolgt durch Polizeiorgane eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahrkontrolle ohne kalibriertes Nachfahrmesssystem

  • mittels blosser Ablesung des Geschwindigkeitsmessers
    • unterliegt dies der freien Würdigung durch die richterliche Behörde.

Länge des Strassenstücks

Weiter ist das Kriterium der Distanz, über die die Messung durchgeführt wurde, von Relevanz:

  • Bei der Würdigung der Geschwindigkeitsmessung ist die Länge des Strassenstücks als Beweismittel zu berücksichtigen.

Sicherheitsabzug

Bei einem Messwert ab 101 km/h ist ein Sicherheitsabzug von 15 % vorzunehmen.

«Massive Geschwindigkeitsübertretung» / qualitativ grober Fall nach SVG 90 Abs. 2

Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 50 % ist auszugehen:

  • Begrifflich vorausgesetzt
    • von einer sog. «massiven Geschwindigkeitsübertretung» im Sinne von Art. 7 Abs. 3 VSKV-ASTRA und
  • qualitativ
    • von einer «groben Verletzung der Verkehrsregeln» im Sinne von SVG 90 Abs. 2.

BGer 6B_1065/2023 vom 17.05.2024   =   BGE 150 IV 242 ff.

Verletzung der Verkehrsregeln

Art. 90 SVG

1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.

2 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt.

3 Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.

3bis Die Mindeststrafe von einem Jahr kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 unterschritten werden, wenn ein Strafmilderungsgrund nach Artikel 48 StGB vorliegt, insbesondere wenn der Täter aus achtenswerten Beweggründen gehandelt hat.

3ter Der Täter kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 mit Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren oder Geldstrafe bestraft werden, wenn er nicht innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Tat wegen eines Verbrechens oder Vergehens im Strassenverkehr mit ernstlicher Gefahr für die Sicherheit anderer, respektive mit Verletzung oder Tötung anderer verurteilt wurde.

4 Eine besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegt vor, wenn diese überschritten wird um:

  1. mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt;
  2. mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt;
  3. mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt;
  4. mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt.

5 Artikel 237 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches findet in diesen Fällen keine Anwendung.

Ausführung des Gesetzes

Art. 106 SVG

1 Der Bundesrat erlässt die zum Vollzug dieses Gesetzes notwendigen Vorschriften und bezeichnet die zur Durchführung zuständigen eidgenössischen Behörden. Er kann das ASTRA zur Regelung von Einzelheiten ermächtigen.

2 Im Übrigen führen die Kantone dieses Gesetz durch. Sie treffen die dafür notwendigen Massnahmen und bezeichnen die zuständigen kantonalen Behörden.

2bis Der Bundesrat kann das ASTRA ermächtigen, in besonderen Einzelfällen Ausnahmen von Verordnungsbestimmungen zu bewilligen.

3 Die Kantone bleiben zuständig zum Erlass ergänzender Vorschriften über den Strassenverkehr, ausgenommen für Motorfahrzeuge und Fahrräder sowie für Eisenbahnfahrzeuge.

4 Der Bundesrat kann Fragen der Durchführung dieses Gesetzes durch Sachverständige oder Fachkommissionen begutachten lassen. …

5 Beim Auftreten neuer technischer Erscheinungen auf dem Gebiete des Strassenverkehrs sowie zur Durchführung zwischenstaatlicher Vereinbarungen kann der Bundesrat die vorläufigen Massnahmen treffen, die sich bis zur gesetzlichen Regelung als notwendig erweisen.

6 Für die Personen, die im Genuss der diplomatischen Vorrechte und Befreiungen stehen, kann der Bundesrat die Zuständigkeit der Behörden abweichend regeln und die weiteren Ausnahmen von diesem Gesetz vorsehen, die sich aus den völkerrechtlichen Gepflogenheiten ergeben.

7 …

8 Der Bundesrat kann Fahrten ausländischer Fahrzeuge verbieten, kontingentieren, der Bewilligungspflicht unterstellen oder andern Beschränkungen unterwerfen, wenn ein ausländischer Staat gegenüber schweizerischen Fahrzeugen und deren Führern solche Massnahmen anordnet oder strengere Verkehrsvorschriften anwendet als für die eigenen Fahrzeuge und deren Führer.

9 …

10 Der Bundesrat kann die Ausführung bestimmter Arbeiten an Fahrzeugen einer Bewilligungspflicht unterstellen, soweit die Verkehrssicherheit oder der Umweltschutz dies erfordern. Er legt die Bewilligungsvoraussetzungen fest und regelt die Aufsicht.

Art. 9 SKV   Einsatz technischer Hilfsmittel

1 Nach Möglichkeit sind bei den Kontrollen technische Hilfsmittel einzusetzen, insbesondere bei der Kontrolle:

  1. der Geschwindigkeit;
  2. der Beachtung von Lichtsignalen;
  3. des Sicherheitsabstandes beim Hintereinanderfahren;
  4. der Arbeits-, Lenk- und Ruhezeit;
  5. des technischen Zustandes der Fahrzeuge;
  6. der Abmessungen und Gewichte;
  7. des Ladegutes;
  8. der Verwendung eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung während der Fahrt;
  9. der Atemalkoholkonzentration

1bis Für technische Hilfsmittel, die Messzwecken dienen, gelten die Messmittelverordnung vom 15. Februar 2006 und die entsprechenden Ausführungsvorschriften des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements.

2 Für die Kontrollen mit technischen Hilfsmitteln regelt das ASTRA im Einvernehmen mit dem Eidgenössischen Institut für Metrologie:

a. die Durchführung und das Verfahren;

b. die Anforderungen an die Messsysteme und Messarten sowie die technisch bedingten Sicherheitsabzüge.

3 Das ASTRA legt die Anforderungen an das Kontroll- und Auswertungspersonal fest.

4 Zur Erprobung neuer technischer Hilfsmittel kann das ASTRA gestützt auf einen Prüfbericht des Eidgenössischen Instituts für Metrologie eine befristete Betriebsbewilligung erteilen und die technisch bedingten Sicherheitsabzüge festlegen.

Art. 7 VSKV-ASTRA   Andere Feststellungen von Geschwindigkeitsüberschreitungen

1 Geschwindigkeitsüberschreitungen können anlässlich einer Kontrolle der Arbeits-, Lenk- und Ruhezeit oder einer Unfallabklärung aufgrund von Aufzeichnungen von Fahrt- und Restwegschreibern sowie Datenaufzeichnungsgeräten festgestellt werden.

2 Werden gestützt auf eine solche Feststellung Einlageblätter zur Einleitung von Massnahmen eingezogen, so ist ihr Einzug dem Fahrzeugführer oder der Fahrzeugführerin schriftlich zu bestätigen, und er oder sie ist anzuweisen, die Bestätigung dem Arbeitgeber abzugeben.

3 Nachfahrmessungen ohne kalibriertes Nachfahrmesssystem sind auf Fälle von massiver Geschwindigkeitsüberschreitung zu beschränken.

Art. 8 VSKV-ASTRA   Sicherheitsabzug

1 Vom auf die nächste ganze Zahl abgerundeten Geschwindigkeitsmesswert sind folgende Werte abzuziehen:

a. bei Radarmessungen:

  • 1. 5 km/h bei einem Messwert bis 100 km/h,
  • 2. 6 km/h bei einem Messwert von 101–150 km/h,
  • 3. 7 km/h bei einem Messwert ab 151 km/h;

b. bei Lasermessungen:

  • 3 km/h bei einem Messwert bis 100 km/h,
  • 2. 4 km/h bei einem Messwert von 101–150 km/h,
  • 3. 5 km/h bei einem Messwert ab 151 km/h;

c. bei stationären Radarmessungen in Kurven:

  • 1. 10 km/h bei einem Messwert bis 100 km/h,
  • 2. 14 km/h bei einem Messwert ab 101 km/h;

d. bei mobilen Messungen nach Artikel 6 Buchstabe c Ziffer 1 mit Radar (Moving-Radar):

  • 1. 7 km/h bei einem Messwert bis 100 km/h,
  • 2. 8 km/h bei einem Messwert von 101–150 km/h,
  • 3. 9 km/h bei einem Messwert ab 151 km/h;

e. bei Messungen mit stationären Schwellendetektoren wie induktive Schleifen, Piezosensoren, optische Schwellendetektoren:

  • 1. 5 km/h bei einem Messwert bis 100 km/h,
  • 2. 6 km/h bei einem Messwert von 101–150 km/h,
  • 3. 7 km/h bei einem Messwert ab 151 km/h;

f. bei Abschnittsgeschwindigkeitskontrollen:

  • 1. 5 km/h bei einem Messwert bis 100 km/h,
  • 2. 6 km/h bei einem Messwert von 101–150 km/h,
  • 3. 7 km/h bei einem Messwert ab 151 km/h;

g. bei Nachfahrkontrollen die Werte gemäss der Tabelle in Anhang 1 und bei Nachfahrmessungen ohne kalibriertes Nachfahrmesssystem folgende Sicherheitsabzüge:

  • 1. 15 km/h bei einem Messwert bis 100 km/h,
  • 2. 15 Prozent bei einem Messwert ab 101 km/h,
  • 3. oder ein vom Bundesamt für Metrologie im Einzelfall bestimmter Abzug.

2 Bei Aufzeichnungen von Fahrt- und Restwegschreibern sowie Datenaufzeichnungsgeräten sind von der aufgezeichneten Geschwindigkeit abzuziehen:

a. 10 km/h bei analogen Fahrtschreibern (Art. 100 Abs. 1 Bst. b der V vom 19. Juni 19954 über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge, VTS) und bei analogen Restwegschreibern;

b. 6 km/h bei digitalen Fahrtschreibern (Art. 100 Abs. 1 Bst. a VTS) und bei digitalen Restwegschreibern; c. 14 km/h bei Datenaufzeichnungsgeräten (Art. 102 VTS).

3 Erfolgt die Geschwindigkeitsermittlung unter Verwendung eines Rotlichtüberwachungssystems in Kombination mit nicht typengeprüften Schleifendetektoren, so sind vom ermittelten Wert abzuziehen:

a. 5 km/h bei einem Messwert bis 50 km/h;

b. 10 Prozent bei einem Messwert ab 51 km/h.

Weiterführende Informationen

Quelle

Bürgi Nägeli Redaktionsteam

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