OR 324 + OR 91
Sachverhalt
Im konkreten Fall ging es um eine St. Galler Internats-Schule, die ihren Betrieb aufgrund von Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie schliessen und auf Online-Unterricht umstellen musste.
Entscheid-Begründung
Summary
Der Annahmeverzug des Arbeitgebers und die ungerechtfertigte Verweigerung der gehörig angebotenen Arbeitnehmer-Leistungen führten in concreto gleichwohl zur Betriebsschliessung als Folge der Bekämpfung des Coronavirus:
- Arbeitsverhinderung
- Die Arbeitsverhinderung als Folge von Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus fällt nicht in die Risikosphäre des Arbeitgebers im Sinne von Art. 324 Abs. 1 OR (Betriebsrisiko).
- Betriebsschliessung
- Die Betriebsschliessung zur Bekämpfung des Coronavirus basiert auf objektiven Gründen, welche im Sinne von Art. 91 OR die Nichtannahme der gehörig angebotenen Leistung des Arbeitnehmers rechtfertigen.
- Lohnpflicht
- Der Arbeitgeber ist daher im konkreten Fall nicht zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung aufgrund von Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus nicht erbringen konnte.
Hergang + Ergebnis
Der hier kurz erläuterte BGE 150 III 22 ff. gab dem Bundesgericht die Gelegenheit, die vielleicht meistumstrittene arbeitsrechtliche Frage im Umfeld der Coronapandemie zu entscheiden,
- nämlich jene,
- ob eine pandemiebedingte behördliche Betriebsschliessung
- in die Risikosphäre der Arbeitgeberin fällt,
- d.h. somit
- ein Annahmeverzug im Sinne von Art. 324 OR auslöst und
- folglich die Lohnzahlung weiterhin geschuldet bleibt.
- ob eine pandemiebedingte behördliche Betriebsschliessung
Dies zunächst mit Erfolg:
- Sowohl das Kreisgericht St. Gallen als auch das Kantonsgericht St. Gallen hiessen die Lohnklagen der Arbeitnehmer gut.
Anders sah es das von der Arbeitgeberin angerufene Bundesgericht:
- Arbeitsverhinderung wegen Betriebsrisiko
- Das BGer kam nach sorgfältiger Erörterung der zahlreichen in der Literatur geäusserten Meinungen im Kern zum Schluss,
- dass die Arbeitsverhinderungen als Folge von Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus nicht in die Risikosphäre der Arbeitgeberin im Sinne von Art. 324 Abs. 1 OR (Betriebsrisiko) fallen.
- Das BGer kam nach sorgfältiger Erörterung der zahlreichen in der Literatur geäusserten Meinungen im Kern zum Schluss,
- Betriebsschliessungen zur Bekämpfung des Coronavirus
- stellten laut Bundesgericht
- objektive Gründe dar,
- welche im Sinne von Art. 91 OR die Nichtannahme der gehörig angebotenen Leistung des Arbeitnehmers rechtfertigten.
- objektive Gründe dar,
- stellten laut Bundesgericht
- Keine Lohnpflicht
- Die Arbeitgeberin war daher nicht zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet,
- wenn die Arbeitnehmer die Arbeitsleistung aufgrund der Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus nicht erbringen konnten.
- Die Arbeitgeberin war daher nicht zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet,
Urteil des Bundesgerichts
Demnach erkennt das Bundesgericht:
- Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das angefochtene Urteil vom 8. Dezember 2022 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht St. Gallen zurückgewiesen.
- Die Gerichtskosten von Fr. 500.– werden den Beschwerdegegnern unter solidarischer Haftung auferlegt.
- Die Beschwerdegegner haben die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren unter solidarischer Haftung mit Fr. 2’500.– zu entschädigen.
- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, III. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
BGer 4A_53/2023 vom 30.08.2023 = BGE 150 III 22 ff.
III. Lohn bei Verhinderung an der Arbeitsleistung
1. bei Annahmeverzug des
Arbeitgebers
Art. 324 OR
1 Kann die Arbeit infolge Verschuldens des Arbeitgebers nicht geleistet werden oder kommt er aus anderen Gründen mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, so bleibt er zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist.
2 Der Arbeitnehmer muss sich auf den Lohn anrechnen lassen, was er wegen Verhinderung an der Arbeitsleistung erspart oder durch anderweitige Arbeit erworben oder zu erwerben absichtlich unterlassen hat.
E. Verzug des Gläubigers
I. Voraussetzung
Art. 91 OR
Der Gläubiger kommt in Verzug, wenn er die Annahme der gehörig angebotenen Leistung oder die Vornahme der ihm obliegenden Vorbereitungshandlungen, ohne die der Schuldner zu erfüllen nicht imstande ist, ungerechtfertigterweise verweigert.
Weiterführende Informationen
Kurzarbeit
Definition Kurzarbeitsentschädigung
Voraussetzungen Kurzarbeitsentschädigung
Arbeitszeiterfassung
Unrechtmässiger Leistungsbezug
Kurzarbeit + Ferien
Quelle
Bürgi Nägeli Redaktionsteam