Immobiliarsachenrecht – Gegenseitiges Näherbaurecht ohne Abrückungspflicht für Gleichstellung

ZGB 6; ZGB 738

Im Fall BGer 5A_955/2022 ging es – im Rahmen einer privatrechtlichen Baueinsprache – um die Auslegung eines gegenseitigen Näherbaurechts im Verhältnis zu Dritten, die an der Errichtung der Dienstbarkeit nicht beteiligt waren.

Im Verhältnis des Erstbauenden zum Zweitbauenden war die Frage zu klären,

  • unter welchen Voraussetzungen die Gegenseitigkeit des Näherbaurechts so zu verstehen ist,
    • dass beide Berechtigten bzw. Verpflichteten gleichermassen
      • vom gegenseitig eingeräumten Näherbaurecht profitieren können müssen.

In der Lehre wird für die Auflösung der aus dem Widerspruch zwischen dem (gegenseitigen) Näherbaurecht und baurechtlichen Gebäudeabstandsvorschriften entstehenden Kollision der gegenseitigen Rechte und Pflichten die Meinung vertreten,

  • es profitiere der Erstbauende vom Abstandsprivileg und
  • es müsse der Zweitbauende weiter von der Grenze abrücken.

Insofern präjudiziere der Erstbauende die baulichen Möglichkeiten des Zweitbauenden,

  • weil er nicht nur Dienstbarkeitsbelasteter,
  • sondern gleichzeitig auch Dienstbarkeitsberechtigter ist und
  • somit ein ihm von der Gegenpartei eingeräumtes Recht ausübe.

Einige Autoren stützten sich für ihre Ansicht auf die kantonale Rechtsprechung.

Das BGer folgte dieser Sichtweise:

Ergibt sich

  • weder aus dem Vertragstext der Dienstbarkeit selber,
  • noch aus den weiteren (objektiv erkennbaren) massgeblichen Umständen,
    • dass die Vertragsparteien mit der Einräumung eines gegenseitigen Näherbaurechts eine Abrückungspflicht in dem Sinne vorgesehen haben,
      • dass beide gleichermassen vom gegenseitig eingeräumten Näherbaurecht profitieren können,
  • darf der Erstbauende
    • von seinem Recht Gebrauch machen und
  • kann der nichtbauende Dienstbarkeitsbelastete und -berechtigte die Realisierung der Baute nicht mit dem Argument verhindern,
    • ihm sei wegen öffentlich-rechtlichen Gebäudeabstandsvorschriften die Nutzbarmachung „seines“ Näherbaurechts verwehrt.

BGer 5A_955/2022 vom 26.05.2023   =   BGE 149 III 400 ff.

II. Öffentliches Recht der Kantone

Art. 6 ZGB

1 Die Kantone werden in ihren öffentlich-rechtlichen Befugnissen durch das Bundeszivilrecht nicht beschränkt.

2 Sie können in den Schranken ihrer Hoheit den Verkehr mit gewissen Arten von Sachen beschränken oder untersagen oder die Rechtsgeschäfte über solche Sachen als ungültig bezeichnen.

2. Nach dem Eintrag

Art. 738 ZGB

1 Soweit sich Rechte und Pflichten aus dem Eintrage deutlich ergeben, ist dieser für den Inhalt der Dienstbarkeit massgebend.

2 Im Rahmen des Eintrages kann sich der Inhalt der Dienstbarkeit aus ihrem Erwerbsgrund oder aus der Art ergeben, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist.

Weiterführende Informationen

Quelle

Bürgi Nägeli Rechtsanwälte Redaktionsteam

Die Kommentare sind geschlossen.