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Vertragsrecht / Zivilprozessrecht –Vertraulichkeitsvorbehalt für Vergleichsverhandlungen 

«… unpräjudiziell, ohne jede Rechtspflicht und nicht für den Gerichtsgebrauch bestimmt …»

Einleitung

Rechtsanwälte ergänzen ihre Korrespondenzen zur Vergleichsfindung mit einem Vertraulichkeitsvorbehalt wie:

«… Diese Mitteilung ist unpräjudiziell, erfolgt ohne jede Rechtspflicht und ist nicht für den Gerichtsgebrauch bestimmt. …»

Für viele Rechtslaien sind diese Vermerke in Anwaltskorrespondenzen ein «Buch mit sieben Siegeln» und deren Funktion unklar.

Das Thema

Die Ausgangslage: Parteien befinden sich in Vergleichsverhandlungen und suchen nach Lösungen.

Dabei besteht immer das Risiko, dass

  • einerseits keine Gesamteinigung gefunden werden könnte und
  • andererseits die Gegenpartei die Verhandlungen missbraucht, um für sie vorteilhafte Verhandlungsvorschläge als anerkannte Vereinbarungsergänzungen behaupten zu können.

Solche Vorhaben sind da gefährlich,

  • wo der Gesetzgeber keine besonderen Formvorschriften für das Rechtsgeschäft vorgesehen hat oder,
  • wo die Parteien zwar die Schriftform vereinbart haben, aber die Formulierung der Schriftformklausel
    • nur zu Beweiszwecken und nicht als Gültigkeitsvoraussetzungen vorgesehen ist;
    • die Schriftform nicht auch für die Änderung der Schriftformklausel verlangt ist.

Für die Vergleichsverhandlungen bestehen keine standardisierten Abläufe:

  • selten, aber möglich:
    • eine Sitzung mit Einigung + sofortiger schriftlicher Niederlegung der Vergleichsvereinbarung;
  • üblich:
    • Eine oder mehrere Sitzungen, mit anschliessender Ausformulierung des gefundenen Vergleichsergebnisses, durch die Parteien oder ihre Anwälte;
    • Brief- oder e-mail-Wechsel mit den Angeboten und Gegenangeboten zu den strittigen Punkten der Parteien, mit nachfolgender Vergleichsvereinbarungs-Redaktion, oft mit Formulierungs-Verhandlungen, durch die Parteien oder ihre Anwälte;
    • Weitere Abläufe und Zwischenstationen, gemäss dem von den Parteien und ihren Vertretern festgelegten Verhandlungsdrehbuch;
    • etc.

Die Begriffe

Der sog. „Vertraulichkeits-Vorbehalt“ für Vergleichsverhandlungen ist – aus Vorsichtsgründen – in der Regel mehrteilig:

  • «unpräjudiziell»
    • =   Erklärung ohne Anerkennung des Anspruchs bzw. ohne Bindung hinsichtlich der Rechtslage
    • im Einzelnen vgl.
      • Das Klausel-Element «unpräjudiziell»
  • «ohne jede Rechtspflicht»
    • =   in allfälligen Zugeständnissen soll keine Anerkennung von Rechtspositionen in einem späteren Prozess erblickt werden können
    • im Einzelnen vgl.
      • Das Klausel-Element «ohne jede Rechtspflicht»
  • «nicht für den Gerichtsgebrauch bestimmt»
    • =   ausdrücklicher Vorbehalt des Erklärungs-Absenders, dass die Mitteilung und/oder das Dokument bzw. die Dokumente dem Gericht nicht zur Kenntnis gebracht werden dürfen
    • im Einzelnen vgl.
      • Das Klausel-Element «nicht für den Gerichtsgebrauch bestimmt»
  • „vertraulich“ bzw. „Vertraulichkeitserklärung“
    • =   Wording des Schweizerischen Anwaltsverbandes (SAV) in seinen Reglementarien

Die Grundlagen

  • Schweizerisches Obligationenrecht (OR)
    • OR 1 ff. (Willenserklärung)
  • Zivilprozessordnung (ZPO)
    • ZPO 152 Abs. 2 (rechtswidrig beschaffte Beweise)
  • Anwaltsgesetz (BGFA)
    • BGFA 12 („Berufsregeln“)
    • BGFA 17 („Disziplinarmassnahmen“)
  • Verbandrecht des Schweizerischen Anwaltsverband (SVA)
    • Art. 6 SSR (Verhalten im Prozess)
    • Art. 26 SSR (Vertraulichkeitserklärung an Kollegen).

Die Funktion

Vergleichsverhandlungen sollen daher so geführt werden können, dass beide Parteien sicher sind, dass ihnen nicht anschliessend unterstellt wird:

  • eine Einigung trotz gescheiterter Verhandlungen;
  • eine Einigung, die nicht dem Verhandlungsergebnis entspricht;
  • nicht anerkannte Sichtweisen zum strittigen Vertrag, aufgrund von Äusserungen in Vergleichsverhandlungen.

Rechtsanwälte verwenden solche Vorbehalts-Formulierungen, um sicherzustellen,

  • dass ihre Verhandlungen in einem offenen und konstruktiven Umfeld stattfinden können, ohne dass die Parteien befürchten müssen,
    • dass ihre Aussagen später gegen sie verwendet werden könnten.

Eine Verwendung von Informationen aus Vergleichsverhandlungen oder die Einreichung von Vergleichsverhandlungs-Dokumenten durch Rechtsanwälte bei Gericht gelten als standeswidrig. Vgl. statt vieler:

Das Klausel-Element «unpräjudiziell»

Diese Wendung «unpräjudiziell» wird häufig in Vergleichsverhandlungen oder anderen rechtlichen Schreiben verwendet.

«Unpräjudiziell» bedeutet, dass die in einer Mitteilung (Brief, e-mail o.ä.) und/oder in einem Vergleichsentwurf enthaltenen Aussagen keine Anerkennung von Rechtspositionen in einem späteren Gerichtsverfahren darstellen.

Das Klausel-Element «ohne jede Rechtspflicht»

Dieser Vorbehalt bringt die Freiwilligkeit einer Mitteilung, eines Vorschlages oder einer Lösungsidee des Erklärenden zum Ausdruck.

Der Erklärende möchte vermeiden, dass dabei eine Angebots- und Annahme-Situation entsteht. Zudem soll, falls der Vorschlag nur ein Entgegenkommen des Erklärenden umfasst, nicht von der Gegenpartei angenommen werden können, bevor diese ihr Näherrücken zu einer Problemlösung unterbreitet hat.

Weiterer Anwendungsfall:

  • «Kulanz»
    • Bei Guten Kunden oder in unklaren Mängelfällen, in welchen ein als mangelhaft gemeldetes Produkt – statt repariert – ersetzt wird, ist die entsprechende Mitteilung durch den folgenden Vorbehalt zu ergänzen:
      • «Kulanz ohne jede Rechtspflicht».

Das Klausel-Element «nicht für den Gerichtsgebrauch bestimmt»

Der Vorbehalt «Nicht für den Gerichtsgebrauch bestimmt» betont, dass das Schreiben und/oder ein Dokument, zB Vertragsentwurf, nicht als Beweismittel vor Gericht verwendet werden dürfen.

Subjektiver Fokus

In subjektiver Hinsicht erstreckt sich die Schutzwirkung des Vorbehalts bzw. der Vorbehalte auf:

  • Rechtsanwälte als Parteivertreter
    • Die Schutzwirkung erfasst die Rechtsanwälte und ihre Erklärungen,
      • insbesondere in gerichtlichen Verfahren (Anwaltsmonopol),
      • aber auch in aussergerichtlichen Auseinandersetzungen;
  • (Streit-)Parteien
    • Die Schutzwirkung des Vorbehalts / der Vorbehalte erstreckt sich auch auf die von den Anwälten vertretenen Mandanten, d.h. die ev. künftigen Prozessparteien.
  • Dritte
    • Nehmen Dritte wie Berater, Gutachter, Sachverständige, Mediatoren usw. an den Vergleichsverhandlungen teil, gilt die Vorbehalts-Schutzwirkung auch für diese Personen.

Objektiver Fokus

«Tatsachenbehauptungen» + Zugeständnisse

Die «Schutzwirkung» der «Vertraulichkeitserklärung» in objektiver Hinsicht erstreckt sich auf folgende Gegenstände:

  • «Tatsachenbehauptungen» der (Streit-)Parteien;
  • «Zugeständnisse» während der Vergleichsverhandlungen,
    • seien sie ausdrücklich oder auch nur konkludent.

Bekanntgabe von Vergleichsverhandlungen?

Ob die Tatsache, dass Vergleichsverhandlungen stattgefunden haben, offenbart werden darf, ist in der Praxis umstritten. Die Zulässigkeit einer Offenbarung ist im konkreten Einzelfall zu prüfen und – sofern und soweit möglich – im Einvernehmen der Anwälte als Prozessvertreter vorzunehmen.

Keine Vertraulichkeits-Schutzwirkung bei «Sachverhalts-Tatsachen»

Von der Vorbehalts-Schutzwirkung nicht erfasst werden:

  • «Sachverhalts-Tatsachen», da ansonsten
    • die Wahrheitsfindung verunmöglicht würde;
    • die Verwertbarkeit solcher «Sachverhalts-Tatsachen» – nach gescheiterten Verhandlungen – dem Rechtszugang zum Gericht entzogen werden könnte.
  • Der Unterschied
    • Die Schutzwirkung solcher Vorbehalts-Klauseln bezieht sich also einzig auf Äusserungen der Parteien oder ihrer anwaltlichen Vertreter und nicht auf die während Vergleichsverhandlungen erfahrenen «Sachverhalts-Tatsachen».
  • Die Differenzierung
    • Es ist also zwischen sog. «Tatsachenbehauptungen» und den in den Vergleichsverhandlungen festgestellten «Sachverhalts-Tatsachen» zu unterscheiden.
      • Beim Einbringen von «Sachverhalts-Tatsachen» ins Prozessverfahren ist genau darauf zu achten, dass dem Gericht keinesfalls damit verbundene, nicht für den Gerichtsgebrauch bestimmte Zugeständnisse der Gegenpartei mitgeteilt werden.
      • Andernfalls würde eine «Verletzung des Vorbehalts» entstehen, mit zivilprozessualen und ggf. anwaltsrechtlichen Sanktionsfolgen.

Temporaler Fokus

  • Beginn der Vorbehalts-Schutzwirkung
    • Die Schutzwirkung beginnt für «Tatsachenbehauptungen» und «Zugeständnisse» mit Aufnahme der Vergleichsverhandlungen bzw. mit der Vertraulichkeits-Mitteilung, sofern und soweit sich im individuell konkreten Einzelfall nichts anderes ergibt.
  • Ende der Vorbehalts-Schutzwirkung
    • Die Schutzwirkung der Vertraulichkeit ist zeitlich nicht begrenzt und endet frühestens mit der Verjährung oder Verwirkung des der Streitigkeit zugrunde liegenden Anspruchs.

Schutzwirkung

Die Schutzwirkung eines Vertraulichkeits-Vorbehalts (auch: «Schutzvorbehalt») beschlägt subjektiv und objektiv verschiedene Bereiche:

  • Anwälte als Parteivertreter
    • Beim Verstoss gegen die Schutzwirkung durch einen Rechtsanwalt entstehen Kontroll-Anliegen:
      • Prüfung, ob die betreffenden Beweismittel gemäss ZPO 152 Abs. 2 verwertbar sind;
      • Prüfung, ob ein Verstoss gegen die anwaltliche Sorgfaltspflicht gemäss BGFA 12 lit. a vorliegt.
  • (Streit-)Parteien
    • Verstösst eine (Streit-)Partei (und nicht deren Anwalt) selber gegen die Schutzvorschrift,
      • kann der Verstoss mangels anwaltlicher Sorgfaltspflichts-Verletzung nicht geahndet werden, da die Partei nicht dem BGFA untersteht.
      • stellt sich die Frage nach der Verwertbarkeit des betreffenden Beweismittels (vgl. ZPO 152 Abs. 2).

Bindungswirkung

Auf die beidseitige Bindungswirkung und damit auf das Recht, nachträglich auf die Vertraulichkeit zu verzichten, kann einzig der erklärenden Partei zurückkommen.

Haben beide (Streit-)Parteien bzw. deren Anwälte die Vertraulichkeits-Vorbehalte angebracht, besteht eine konsensuale Bindungswirkung, die u.E. nur von beiden (Streit-)Parteien einvernehmlich widerrufen werden kann.

Verletzung des Vertraulichkeits-Vorbehalts

Bei der Vorbehalts-Verletzung sind zwei grundsätzliche Bereiche zu differenzieren:

  • Zivilprozess
    • Wird ein «Schutzvorbehalt» verletzt, dürfen Äusserung und/oder Dokument vom Gericht im Prinzip nicht verwendet werden (vgl. ZPO 152 Abs. 2).
  • Anwaltspflichten / Standesregeln
    • Verstösst ein Rechtsanwalt gegen den «Schutzvorbehalt», liegt zusätzlich ein Verstoss gegen die Norm der «Berufsregeln» von Art. 12 BGFA, insbesondere von BGFA 12 lit. a, vor, was von der zuständigen Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte gemäss BGFA 17 sanktioniert werden kann (vgl. auch für Mitglieder des Schweizerischen Anwaltsverbandes Art. 6 und 26 SSR).

Verzicht auf den Vertraulichkeits-Vorbehalt

Jede Partei kann grundsätzlich auf den von ihr selbst angebrachten «Schutzvorbehalt» verzichten und ihr(e) Dokument(e) – ohne Einwilligung der Gegenpartei – vor Gericht verwenden:

Die Gesamtbedeutung

Die hievor beschriebenen drei Klauselelemente bzw. Vorbehalte dienen der Vertraulichkeit und sollen den informellen Charakter einer Erklärung betonen sowie sicherstellen, dass die damit verbundenen Mitteilungen und Dokumente nicht dem Gericht zur Kenntnis gebracht werden.

Fazit

Der Gesamtvorbehalt sollte in jedem schriftlichen Kontakt oder Dokument enthalten sein. Dies erfordert eine gewisse Disziplin und Sorgfalt.

Trotz allenfalls «vertraulicher werdender und in Minne verlaufender Gespräche» sollte diese «Vorbehaltsregel» angewandt werden. Das Verhalten von «Wolf im Schafspelz»-Gegenparteien kann sich abrupt ändern und dazu führen, dass aus Vergleichsverhandlungen ein «Vorteils-Picking» veranstaltet wird. Dies sollte unbedingt vorgängig verhindert werden.

Es reicht, wenn man sich mit einem nicht geschäftswürdigen Vertragspartner eingelassen hat:

Weiterführende Informationen

Quelle

Redaktionsteam Bürgi Nägeli Rechtsanwälte