Vertragsrecht / Zivilprozessrecht – Rechtsmissbräuchliche Verjährungseinrede

von

Urs Bürgi
Rechtsanwalt und Inhaber des zürch. Notar-, Grundbuch- und Konkursverwalter-Patentes

Einleitung

Wer kennt die Situation nicht, dass mit einem Schuldner über eine Schuldanerkennung bzw. die Tilgung der Forderung verhandelt und versucht wird, diesen zur Zahlung oder mindestens zu einer Schuldanerkennung zu bewegen.

Als Notbehelf kann sich die Frage stellen, ob ein bestimmtes Verhalten des Schuldners den Gläubiger darauf vertrauen lassen kann, dass auf die Verjährungseinrede verzichtet wird.

Die nachfolgenden Ausführungen sollen Einzelheiten klären.

Verjährungsunterbrechung

Verjährungsunterbrechung durch den Gläubiger

Der nahende Ablauf der Verjährungsfrist zwingt den Gläubiger, zur Rechtswahrung seines Anspruchs entweder diesen prozessual durchzusetzen, die Verjährung zu unterbrechen, durch Schuldbetreibung oder Klage vor einem staatlichen Gericht oder Schiedsgericht bzw. Konkurseingabe, oder auf diesen zu verzichten (vgl. OR 135 Ziffer 2).

Verjährungsunterbrechung durch den Schuldner

Der Schuldner kann bewusst oder unbewusst verjährungsunterbrechende Handlungen vornehmen. Die in der nachfolgenden Box gelisteten Handlungen

Die Forderungsanerkennung des Schuldners unterbricht die Verjährung:

(ausdrückliche) Forderungsanerkennung

  • durch Schuldanerkennung
  • durch Stundungsvereinbarung
  • durch Ausstellung eines Schuldscheines
  • durch Erklärung des Schuldners, er werde demnächst zahlen
  • durch Vergleich
    • vgl. GAUCH PETER, FS Schluep, S. 15

Stillschweigende bzw. konkludente Forderungsanerkennung

Quelle: Unterbrechungshandlungen des Schuldners | LAW.CH®

Verjährungseinredeverzichtserklärung

Die in der Rechtspraxis oft erwähnte und verwendete sog. «Verjährungseinredeverzichtserklärung» hat einen entscheidenden Nachteil, dass die betreffende Forderung zwar verjährt ist, aber die Verjährung vom Schuldner kraft Abrede nicht geltend gemacht werden darf oder soll. Nicht selten werden Grundlagenirrtum, eine andere gemeinte Forderung, fehlende Vollmacht oder Vertretung und ähnliches geltend gemacht, um doch die Verjährung und damit Verwirkung geltend zu machen.

Vgl.

Beweisschwierigkeiten für den Nachweis früherer Tilgungen

Die gesetzliche Regelung nimmt in Kauf, dass sich für den Schuldner gegen Ende der Verjährungsfrist Beweisschwierigkeiten für den Nachweis früherer Tilgungen ergeben können.

Vergleichsverhandlungen

Für den Fall von Vergleichsgespräche generell und besonders vor Verjährungseintritt empfiehlt sich zu vereinbaren:

  • Eine Verjährungshemmung während der Vergleichsgespräche.

Rechtsmissbräuchliches Verhalten?

Aus dem blossen Zeitablauf innerhalb der Verjährungsfrist ein vertrauensbildendes Verhalten des Schuldners nach Eintritt der Verjährung abzuleiten, nützt dem Gläubiger nichts, ausser es sind ganz besondere Umstände dazugekommen.

Kein Rechtsmissbrauch

Kein Rechtsmissbrauch des Schuldners liegt vor,

  • wenn der Schuldner einmal oder mehrere Male Verjährungseinredeverzichtserklärungen abgibt,
    • unter dem Vorbehalt «soweit die Verjährung nicht bereits eingetreten ist», und
      • sich dann später darauf beruft,
        • dass die Verjährung bereits bei Abgabe des ersten Verzichts tatsächlich schon eingetreten sei.

Solche Verjährungseinredeverzichtserklärungen mit Vorbehalt sind nicht kausal für das zu späte Gläubiger-Handeln.

Keine Forderungsverzichts- oder Rechtsmissbrauch-Annahmen

Das Bundesgericht (BGer) hat in BGE 110 II 275, Erw. 2, unter der Willkürprüfung festgehalten, es sei unhaltbar, einen Verzicht auf die Forderung oder einen Rechtsmissbrauch nur deshalb anzunehmen, weil:

  • der Arbeitnehmer zwei Jahre mit der Geltendmachung seiner zwingenden Ansprüche aus dem Gesamtarbeitsvertrag zugewartet habe;
  • BGE 116 II 428, Erw. 2, betr. Forderung aus Werkvertrag;
  • BGE 125 I 14, Erw. 3 betr. nachträgliche Geltendmachung von diskriminierungsfreiem Lohn;
  • BGE 127 III 357, Erw. 4c/bb + BGE 129 III 171, Erw. 2.4, i. f., betr. Geltendmachung von Überstunden durch den Arbeitnehmer; 
  • BGE 131 I 105, Erw. 3.3, betr. Anspruch auf diskriminierungsfreien Lohn;
  • BGer, 27. 2. 2004, 5C.112/2003, Erw. 5; 24. 5. 2005, BGer 4C.54/2005, Erw. 2.2; 29. 3. 2006, 4C.33/2006, Erw. 3.1).

Rechtsmissbräuchliche Verjährungseinrede

Rechtsmissbrauch

Die Einrede der Verjährung stellt einen Rechtsmissbrauch im Sinne von ZGB 2 Abs. 2 dar und ist nicht zu schützen,

  • wenn sie gegen erwecktes Vertrauen verstösst,
    • dass der Schuldner vor Ablauf der Verjährung
      • bezahlen werde;
      • die Verjährung seinerseits unterbrechen würde;
  • wenn der Schuldner insbesondere ein Verhalten gezeigt hat,
  • welches den Gläubiger bewogen hat,
    • während der Verjährungsfrist rechtliche Schritte zu unterlassen, und
  • welches seine Säumnis auch bei objektiver Betrachtungsweise als verständlich erscheinen lässt.

Keine Arglist des Schuldners

Ein arglistiges Verhalten des Schuldners ist dabei nicht erforderlich.

Kausalität des Schuldnerverhaltens

Das Verhalten des Schuldners muss demnach

  • kausal für das zu späte Handeln des Gläubigers sein.

Vgl. BGE 128 V 236, Erw. 4a = Pra 2003, 1027; BGer 4C.296/2003, Erw. 3.6, vom 12.05.2004.

Kasuistik

Erforderlich ist ein Verhalten,

  • welches seiner Art nach geeignetist,
    • den Gläubiger an der rechtzeitigen Wahrung seiner Rechte zu hindern, zum Beispiel:
      • wenn der Schuldner den Gläubiger ausdrücklich um Geduld ersucht oder
      • wenn der Schuldner eine Rückzahlung bis zu einem Zeitpunkt nach Ablauf der Verjährungsfrist verspricht (vgl. BGE 69 II 104, Erw. 4)
      • wenn der Schuldner gegenüber dem Gläubiger eine Erklärung abgibt,
        • er werde auf die Erhebung der Verjährungseinrede bis zu einem bestimmten Zeitpunkt verzichten, und
        • dadurch den Gläubiger von Unterbrechungshandlungen abhält,
          • um sich nachfolgend auf die Ungültigkeit der Verzichtserklärung zu berufen (Vgl. SG GVP 1997, 101 f.).

Vorkehr nach einer rechtsmissbräuchlichen Verjährungseinrede

Sollte der Schuldner trotz begründeten Vertrauens auf den Verzicht einer Verjährungseinrede die Verjährung geltend machen, bleibt nur eine

  • kurze Nachfrist für die verjährungsunterbrechende Handlung.

Ob dadurch eine Ablaufhemmung entsteht, kommt auf den individuell konkreten Einzelfall an.

Fazit

Bei einem bestimmten Verhalten des Schuldners kann also ein Gläubiger berechtigterweise darauf vertrauen, dass auf die Verjährungseinrede verzichtet wird. Ein solcher Sachverhalt ist aber ein absoluter Ausnahmefall.

Aus Sicherheitsgründen ist zu empfehlen, entweder den Schuldner zu betreiben, zB durch stille Betreibung, oder den Schuldner bei der Schlichtungsbehörde einzuklagen und falls aus bestimmten Gründen notwendig, die Klage unter Vorbehalt der Wiedereinbringung zurückzuziehen.

Weiterführende Informationen

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