Strafrecht / Strafprozessrecht / Zwangsverwertung – Kryptobestände: Vorzeitige Verwertung

StPO 266

Im Falle 1B_59/2021 bot das Bundesgericht zunächst eine Übersicht über die Lehre und die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu den einzelnen Verfahrensaspekten, nämlich zur:

  • strafprozessualen Beschlagnahme (Erw. 3.1)
    • Die strafprozessuale Beschlagnahme ist eine vorsorgliche, konservatorische Massnahme hinsichtlich der Gegenstände und Vermögenswerten, die als Beweismittel oder zur Sicherstellung von Verfahrenskosten, Geldstrafen, Bussen und Entschädigungen gebraucht werden, den Geschädigten zurückzugeben oder einzuziehen sind (vgl. StPO 263 Abs. 1 lit. a-d; …).
    • Die anordnende Strafbehörde ist zur sachgemässen Aufbewahrung der beschlagnahmten Gegenstände und Vermögenswerte verpflichtet (vgl. StPO 266 Abs. 2) bis über deren definitive Verwendung entschieden wird (vgl. StPO 267; …).
    • Dabei sind die betreffenden Gegenstände und Vermögenswerte so zu sichern und zu behandeln, dass sie
      • keinen Schaden nehmen;
      • nicht an Wert einbüssen;
      • nicht abhandenkommen (…):
    • Art. 1 der Verordnung vom 3. Dezember 2010 über die Anlage beschlagnahmter Vermögenswerte [SR 312.057], wonach beschlagnahmte Vermögenswerte möglichst sicher, werterhaltend und ertragbringend anzulegen sind.
    • Wie die Aufbewahrung konkret zu erfolgen hat, hängt ab von der Beschaffenheit
      • der beschlagnahmten Gegenstände und
      • der Vermögenswerte (…).
  • vorzeitigen Verwertung (Erw. 3.2 und 3.3)
    • Erw. 3.2
      • Gemäss StPO 266 Abs. 5können Gegenstände, die einer schnellen Wertverminderung unterliegen oder einen kostspieligen Unterhalt erfordern, sowie Wertpapiere oder andere Werte mit einem Börsen- oder Marktpreis
        • nach den Bestimmungen des SchKG sofort verwertet werden,
          • wobei der Erlös mit Beschlag belegt wird.
      • Die vorzeitige Verwertung dient
        • einerseits dem Interesse des Staates, der sonst gegebenenfalls schadenersatzpflichtig würde, und
        • andererseits dem Interesse der beschuldigten Person, die damit keinen Vermögensnachteil erleidet (…).
      • Der aus einer vorzeitigen Verwertung erzielte Erlös ist zu gegebener Zeit
        • der berechtigten Person zurückzuerstatten oder
        • einzuziehen (…).
      • Angesichts des mit der vorzeitigen Verwertung einhergehenden schweren Eingriffs in das Eigentum der betroffenen Person (BV 26) ist davon zurückhaltend Gebrauch zu machen (…).  
    • Erw. 3.3
      • Die vorzeitige Verwertung erfolgt gemäss StPO 266 Abs. 5nach den Bestimmungen des SchKG, das unter anderem die Versteigerung (SchKG 125 ff.) und den Freihandverkauf (SchKG 130) vorsieht (…).
      • Die Verwertungsart hängt ab:
        • vom betroffenen Gegenstand oder
        • Vermögenswert,
          • insbesondere auch von einer allfälligen Notierung an der Börse oder einem Markt (…)
            • wobei die Interessen der Beteiligten so gut als möglich zu wahren sind und
            • ein möglichst hohes Verwertungsergebnis zu erzielen ist (…).
      • Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts wird das Ziel, einen bestmöglichen Erlös zu erzielen,
        • durch einen Freihandverkauf in der Regel besser erreicht
        • als durch eine Versteigerung (…).
      • Der Freihandverkauf ist gesetzlich nicht weiter konkretisiert,
        • wodurch den Behörden ein grosses Ermessen und
        • ein erheblicher Handlungsspielraum zukommt,
          • damit ein möglichst günstiges Verwertungsergebnis erzielt werden kann (…).

Sodann nahm das BGer bezüglich der Pflicht zur bestmöglichen Wahrung der Interessen des Staates und der betroffenen Person bei der vorzeitigen Verwertung Stellung (Erw. 3.4):

  • Rücksichtnahme auf den konkreten Verwertungstatbestand
    • Berücksichtigung der
      • konkreten Situation und
      • Beschaffenheit und
      • Besonderheiten der einzelnen zu verwertenden Vermögenswerte.
  • Erfordernis spezifischer Anordnungen für die vorzeitige Verwertung
    • Die individuellen Verhältnisse können es gebieten, hinsichtlich der vorzeitigen Verwertung spezifische Anordnungen zu treffen, namentlich bezüglich
      • Art und
      • Modalitäten
    • (vgl. Erw. 4.4).

Nach diesen Erwägungen verletzte der angefochtene Beschluss Bundesrecht, namentlich StPO 266.

Die Beschwerde war somit gutzuheissen und der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 22.12.2020 sowie die Verfügung der Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich vom 01.09.2020 aufzuheben.

Die Sache ist an die Staatsanwaltschaft zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen und an die Vorinstanz zur Neuverlegung der vorinstanzlichen Kosten zurückzuweisen.

Quelle

BGer 1B_59/2021 vom 18.10.2021   =   BGE 148 IV 74 ff.

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