Bonus: Gratifikation oder Lohnbestandteil?

Präzisierung der Rechtsprechung in BGE 139 III 155 ff.

In der Regeste von BGE 4A_520/2012 vom 26.02.2013 = BGE 139 III 155 ff. schrieb das Bundesgericht:

„Erreicht der eigentliche Lohn ein Mass, das die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers bei Weitem gewährleistet bzw. seine Lebenshaltungskosten erheblich übersteigt, ist die Höhe der Sondervergütung im Verhältnis zum Lohn kein Kriterium mehr, um über deren Qualifikation zu entscheiden (Präzisierung der Rechtsprechung; …)“.

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer, bei einer Bank als Wertschriftenhändler tätig, bezog 2005 einen Grundlohn:

  • Fixlohn von CHF 207‘500.–.

Der Arbeitgeber teilte dem Arbeitnehmer in seiner Mitteilung vom Januar 2006 die variable Vergütung bzw. zusätzliche Entschädigung für 2005 sinngemäss wie folgt mit:

  • Performance Incentive Bonus (PIB): total CHF 3,1 Mio.
    • Baranteil
      • CHF 1’807’744.— (ca.58,3 %)
  • Aktienbasierter „Performance Incentive Plan“ (sog. „PIP-Anteile“)
    • CHF 1‘292‘256.—(ca. 41,7 %)
    • Longevity Premium Award (LPA) : CHF 323’064.–

Ferner wurde eine Aufschub- und Verfallklausel (Vestingklausel) für die „PIP-Anteile“ eingeführt. Im Vergleich zu den Vorjahren änderte die Bank ihre Bonuspraxis. Auf die Einzelheiten einzugehen, würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen.

Der Arbeitgeber zahlte an den Arbeitnehmer aus:

  • Fixlohn von CHF 207‘500.–
  • Baranteil des PIB von CHF 1‘807‘744.–.

Folgende Sondervergütungen verweigerte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer:

  • PIP-Anteil von CHF 1‘292‘256.—
  • LPA von CHF 323‘064.–.

Der Arbeitgeber machte geltend, die variablen Vergütungsanteile seien aufgrund der neuen Bonusregelung durch die Arbeitnehmer-Kündigung vor Ablauf der Vesting-Periode verfallen.

Der Arbeitnehmer war mit seiner Abgeltung nicht einverstanden und kündigte das Arbeitsverhältnis am 08.02.2006; er wurde am 10.02.2006 freigestellt. Das Ende des Arbeitsverhältnisses ist aus der Prozesshistory nicht ersichtlich.

Die Gesamtkennzahlen ergeben folgende Fix- und Sondervergütungsverhältnisse des Arbeitnehmers pro 2005:

  • Gesamtvergütung: CHF 3‘630‘614.— = 100 %
  • Fixlohn von CHF 207‘550.–: 5,7 %
  • Performance Incentive Bonus von ca. CHF 3, 1 Mio.: 85,4 %
    • Baranteil des PIB von CHF 1‘807‘744.–: 49,8 %
    • PIP-Anteile unter Aufschub- und Verfallklausel von CHF 1‘292‘256.–: 35,6 %
    • LPA von CHF 323‘064.–: 8,9 %

Präzisierung der Rechtsprechung

Bezieht der Arbeitnehmer ein sehr hoher Lohn, kommt gemäss Bundesgericht dem sog. Akzessorietätsprinzip kein tragbares Kriterium mehr sei, um über den Lohncharakter einer Sondervergütung zu entscheiden.

Der Bundesgerichtsentscheid lässt die präzisierte Rechtsprechung wie folgt zusammenfassen:

  • Bei sehr hohen Arbeitnehmereinkommen
    • keine Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers
    • Vorrang der Vertragsfreiheit gegenüber dem Prinzip der Akzessorietät der Gratifikation
    • Irrelevanz des Akzessorietätsprinzips bei einem Lohn von (ab?) ca. CHF 2 Mio.
    • Fortbestand des Akzessorietätsprinzips bei Gesamtvergütungen mit niedrigerem Quantitativ

Ob sich die Schwelle für die Irrelevanz des Akzessorietätsprinzips auch auf einem tieferen Betrag als den CHF 2 Mio. einpendeln könnte, wird die künftige Rechtsprechung des Bundesgerichts weisen.

Anteil am Geschäftsergebnis [OR 322a]?

Der Arbeitnehmer machte geltend, die Geschäftszahlen der Bank würden darauf hindeuten, dass ein Anteil am Geschäftsergebnis gemäss OR 322a (= variabler Lohnanteil) bestehe und damit der Bonus keine Gratifikation nach OR 322d darstelle. – Das Bundesgericht übernahm – gestützt auf die bindenden Tatsachenfeststellung – aber die Ansicht des Obergerichts des Kantons Zürich, wonach es sich bei der ganzen PIB von CHF 3,1 Mio. um eine vom Ermessen des Arbeitgebers abhängige Gratifikation nach OR 322d handle. Die Argumentation des Arbeitnehmers, die Berechnung des Anteils am Geschäftsergebnis gemäss OR 322a erfordere keine Berechnungsformel, teilte das Bundesgericht indessen nicht.

Ergebnis

Trotz der juristisch-dogmatisch spannenden Präzisierung der Rechtsprechung gelangte dann das Bundesgericht im Sinne der Vorinstanz zum Ergebnis, dass die PIB-Anteile zu Recht als Gratifikation [Art. 322d OR] zu beurteilen seien und daher kein Anspruch auf die Auszahlung des aufgeschobenen Aktienbonus bestehe.

Der Arbeitnehmer half zwar bei der Rechtsfortbildung, stolperte aber über die Beständigkeit der Vestingklausel.

Quelle

BGE 4A_520/2012 vom 26.02.2013 = BGE 139 III 155 ff.

Vesting-Klausel

Bisherige Rechtsprechung

Weiteres „Bonus-Urteil“ des Bundesgerichts

vgl. BGE 4A_721/2012 vom 16.05.2013

Weiterführende Informationen / Linktipps

Vergütungssysteme | verguetungssysteme.ch

Bonusrecht | bonus-recht.ch

Gratifikation gratifikation.ch

BGE 129 III 276 ff.

BGE 131 III 615

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