IPRG – Ausländische Insolvenzverwalter in der Schweiz: Die Handlungsoptionen

IPRG 166 ff.

Einleitung

Die Schweiz zählt zu den weltweit führenden Finanzplätzen. Aufgrund dieser Tatsache sind ausländische Insolvenzverwalter oft mit der Situation konfrontiert, bei schweizerischen Ban­ken Vermögenswerte von international tätigen Gemeinschuldnern ausfindig machen und Auskünfte über deren Bankguthaben erhalten zu müssen. Dem internationalen Insolvenzrecht der Schweiz kommt daher ein hoher Stellenwert zu.

Das schweizerische IPRG

Das schweizerische Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18.12.1987 regelt das internationale Konkursrecht:

  • Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets
    • Das IPRG sieht im Prinzip die formelle Anerkennung ausländischer Konkursdekrete und die Durchführung sog. Hilfskonkursverfahren vor.
  • Hilfskonkursverfahren
    • Beim Hilfskonkursverfahren handelt es sich um ein lokales Konkursverfahren des schweizerischen Rechts, welches auf die Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets folgen kann und grundsätzlich vom schweizerischen Konkursamt durchgeführt wird.
  • Begünstigte Gläubiger in der Schweiz
    • Im Hilfskonkursverfahren werden zuerst bestimmte privilegierte Konkursgläubiger befriedigt.
  • Resterlös
    • Ein eventueller Resterlös wird anschliessend dem ausländischen Insolvenzverwalter zur Verfügung gestellt.
  • Zweck des Hilfskonkursverfahren
    • Das Hilfskonkursverfahren dient als Hilfsmittel der Rechtswahrung privilegierter schweizerischer Gläubiger und den ausländischen Insolvenzverwaltern zur Erlangung von schweizerischen Vermögenswerten.

Die IPRG-Novellierung vom 01.01.2019

Seit der Revision des IPRG vom 01.01.2019 muss die Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets nicht zwingend mit der Eröffnung eines Hilfskonkursverfahrens enden:

  • Der ausländische Insolvenzverwalter hat nun die Möglichkeit,
    • den Verzicht auf die Durchführung des Hilfskonkursverfahrens zu beantragen und
    • anschliessend selbst in der Schweiz zu handeln.

Der An­stoss für die IPRG-Revision gaben folgende Bedürfnisse des schweizerischen Ge­setzgebers:

  • die Annäherung des schweizerischen internationalen Konkursrecht an die EuInsVO;
  • die Vermeidung eines negativen Rufs der Schweiz als «Konkursoase».

Durch die IPRG-Revision von 2019 wurden den ausländischen Insolvenzverwaltern bestimmte Handlungsbefugnisse zugestanden:

  • Mit der Festlegung der Handlungsbefugnisse wurde einerseits die Handlungsmacht der ausländischen Konkursverwaltung begrenzt und andererseits die nationale Souve­ränität der Schweiz gewahrt.

Die Handlungsoptionen für ausländische Insolvenzverwalter

Die Handlungsoptionen der ausländischen Insolvenzverwalter in der Schweiz soll kurz und stichwortartig dargelegt werden:

  • Limitierte Handlungsbefugnisse der ausländischen Insolvenzverwaltung ohne Konkursanerkennung
    • Ohne Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets und Auslösung des Anerkennungsverfahrens ist die Rechts- und Handlungsfähigkeit der ausländischen Konkursmasse wegen des strafrechtlichen Verbots von Hoheitsakten limitiert.
    • Zwar können zivilrechtliche Verträge geschlossen und Massaverpflichtungen eingegangen werden; abgesehen von der Verfügung über Vermögenswerte des ausländischen Gemeinschuldners durch Abtretung von Forderungen, die Übertragung von beweglichen Sachen, die Eintragung dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen im Grundbuch und die Eintragung von Immaterialgüterrechten in die Register des Instituts für geistiges Eigentum (IGE) ist die Verfügung über Vermögen in der Schweiz aber ausgeschlossen.
    • Ferner:
      • Keine Prozessführung ausserhalb des Anerkennungsverfahrens
      • Aber: Koordinationsmöglichkeit nach IPRG 174b
  • Antragsrechte im Rahmen der internationalen Rechtshilfe in Konkurssachen
    • Aufgrund der beschränkten Handlungsmöglichkeiten einer ausländischen Konkursverwaltung kommt diese in den meisten Fällen für die Zielerreichung nicht umhin, sich der internationalen Rechtshilfe in Konkurssachen zu bedienen. Der ausländischen Konkursverwaltung stehen hiefür drei Möglichkeiten (Antragsrechte) zur Verfügung:
      • Antrag auf Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets beim schweizerischen Konkursgericht (IPRG 166)
      • Begehren um Anordnung sichernder Massnahmen (IPRG 168)
      • Antrag auf Verzicht einer Durchführung des Hilfskonkursverfahrens (IPRG 174a)
  • Prozessführungsrechte nach Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets
    • Nach erfolgter Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets steht der ausländischen Insolvenzverwaltung die Prozessführungsbefugnis zu, und zwar unabhängig davon, ob ein Hilfskonkursverfahren eröffnet oder darauf verzichtet wurde.
    • Die ausländische Konkursverwaltung kann daher folgendes:
      • Eintreibung konkursrechtlicher Ansprüche, in dem sie die Anerkennung ausländischer Entscheidungen über gläubigerschädigende Handlungen beantragt (IPRG 174c)
      • Erhebung von Anfechtungsklagen (IPRG 171)
      • Eintreibung zivilrechtlicher Ansprüche, mittels Zivilprozesses gegen schweizerische Drittschuldner oder Drittbesitzer bzw. sonstige Schuldner (IPRG 174a Abs. 4)
  • Besondere Handlungsbefugnisse im Hilfskonkursverfahren
    • Nebst der hievor erwähnten Prozessführungsbefugnisse stehen der ausländischen Konkursverwaltung im Hilfskonkursverfahren folgende Handlungsbefugnisse zu:
  • Besondere Handlungsbefugnisse nach dem Hilfskonkursverzicht
    • Allgemein
      • Aufgrund der generalklauselartigen Umschreibung der Handlungsbefugnisse in IPRG 174a Abs. 4 gibt es zulässige und unzulässige Handlungen, für welche ggf. die internationale Rechtshilfe eines schweizerischen Konkursamtes in Anspruch genommen werden muss.
    • Grundregeln
      • Beachtung des schweizerischen Rechts
      • Verbot von Hoheitshandlungen (Zwangsmittelverbot, Entscheidungsverbot, Verbot hoheitlichen Handelns)
    • Handlungsspielraum der ausländischen Insolvenzverwaltung nach dem Hilfskonkursverzicht gemäss IPRG 174a
      • Anders als im Falle der Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets und im Hilfskonkursverfahren kann die ausländische Insolvenzverwaltung nach erfolgtem Hilfskonkursverzicht jede zivile Tat- und Rechtshandlung uneingeschränkt ausüben.
      • Unklar blieb nach der IPRG-Revisionsnovelle von 2019, ob und inwieweit der ausländischen Insolvenzverwaltung konkursspezifische Rechte und Pflichten zukommen, namentlich für:
        • Zwangsverwertung
        • Ersuchen um internationale Rechtshilfe
        • Ansetzung einer Aussonderungsfrist
      • Für ein rechtssicheres Vorgehen empfiehlt sich eine Einzelfallabklärung.
    • Inbesitznahme der gemeinschuldnerischen Sache?
      • Voraussetzung hiefür ist der Alleingewahrsam des Gemeinschuldners an der Sache
      • Bei blossem Mitgewahrsam oder bei Gesamteigentum im weiteren Sinne ist eine individuelle Beurteilung der Sach- und Rechtslage erforderlich
    • Verbringung der beweglichen Sache oder einer Auszahlung aus einem schweizerischen Bankguthaben in den Staat des ausländischen Insolvenzverwalters?
      • Die Zulässigkeit muss im individuell konkreten Einzelfall beurteilt werden.
    • Zwangsverwertung
      • Die Zwangsverwertung kann in der Schweiz auf verschiedene Art und Weise erfolgen:
        • Öffentliche Versteigerung (durch das Betreibungs- oder Konkursamt)
        • Freihandverkauf (SchKG 256)
        • Entscheidungsrecht bei der Verwertung von Anteilen an Gemeinschaftsvermögen (VVAG)
    • Ersuchen um internationale Rechtshilfe beim zuständigen schweizerischen Konkursamt

Fazit

Durch den aufgrund der IPRG-Revision neu dazugekommenen «Hilfskonkursverzicht» ist das Konkursrechtshilfe-Repertoire um eine Variante reicher geworden. Komplex, gerichts- und behördenabhängig bleibt die vielschichtige Materie an der Grenze zu hoheitlichem Handeln allemal. – Je nach Situation kann es zweckmässig und zielführend sein, ortskundigen und branchenerfahrenen Fachrat einzuholen.

Ansprechpartner bei unserer Kanzlei:

Urs Bürgi

Rechtsanwalt + Inhaber des Zürcher Notar-, Grundbuch- und Konkursverwalter-Patentes

Attorney at Law + Degree as Notary Public, Land Registrar and Receiver of Canton Zürich

I. Anerkennung

Art. 166111  IPRG

1 Ein ausländisches Konkursdekret wird auf Antrag der ausländischen Konkursverwaltung, des Schuldners oder eines Konkursgläubigers anerkannt, wenn:

  1. das Dekret im Staat, in dem es ergangen ist, vollstreckbar ist;
  2. kein Verweigerungsgrund nach Artikel 27 vorliegt; und
  3. es ergangen ist:
  1. im Wohnsitzstaat des Schuldners, oder
  2. im Staat des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen des Schuldners, vorausgesetzt, dieser hatte im Zeitpunkt der Eröffnung des ausländischen Verfahrens seinen Wohnsitz nicht in der Schweiz.

2 Hat der Schuldner eine Zweigniederlassung in der Schweiz, so ist ein Verfahren nach Artikel 50 Absatz 1 des Bundesgesetzes vom 11. April 1889112 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) bis zur Veröffentlichung der Anerkennung nach Artikel 169 dieses Gesetzes zulässig.

3 Ist ein Verfahren nach Artikel 50 Absatz 1 SchKG bereits eröffnet und die Frist nach Artikel 250 SchKG nicht abgelaufen, so wird dieses Verfahren nach der Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets eingestellt. Bereits angemeldete Forderungen werden nach Massgabe von Artikel 172 in den Kollokationsplan des Hilfskonkursverfahrens aufgenommen. Die aufgelaufenen Verfahrenskosten werden dem Hilfskonkursverfahren zugeschlagen.

111 Fassung gemäss Ziff. I des BG vom 16. März 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3263BBl 2017 4125).

112 SR 281.1

2. Sichernde Massnahmen

Art. 168 IPRG

Sobald die Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets beantragt ist, kann das Gericht auf Begehren des Antragstellers die sichernden Massnahmen nach den Artikeln 162–165 und 170 SchKG115 116 anordnen.

115 SR 281.1

116 Ausdruck gemäss Ziff. I des BG vom 16. März 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3263BBl 2017 4125). Die Änd. wurde im ganzen Text berücksichtigt.

5. Verzicht auf Durchführung eines Hilfskonkursverfahrens

Art. 174a127 IPRG

1 Auf Antrag der ausländischen Konkursverwaltung kann auf die Durchführung eines Hilfskonkursverfahrens verzichtet werden, wenn keine Forderungen nach Artikel 172 Absatz 1 angemeldet wurden.

2 Haben Gläubiger, die ihren Wohnsitz in der Schweiz haben, andere als die in Artikel 172 Absatz 1 erwähnten Forderungen angemeldet, so kann das Gericht auf die Durchführung eines Hilfskonkursverfahrens verzichten, wenn die Forderungen dieser Gläubiger im ausländischen Verfahren angemessen berücksichtigt werden. Diese Gläubiger werden angehört.

3 Das Gericht kann den Verzicht mit Bedingungen und Auflagen versehen.

4 Wird auf die Durchführung eines Hilfskonkursverfahrens verzichtet, so darf die ausländische Konkursverwaltung unter Beachtung des schweizerischen Rechts sämtliche Befugnisse ausüben, die ihr nach dem Recht des Staates der Konkurseröffnung zustehen; sie darf insbesondere Vermögenswerte ins Ausland verbringen und Prozesse führen. Diese Befugnisse umfassen nicht die Vornahme hoheitlicher Handlungen, die Anwendung von Zwangsmitteln oder das Recht, Streitigkeiten zu entscheiden.

127 Eingefügt durch Ziff. I des BG vom 16. März 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3263BBl 2017 4125).

IIIbis. Koordination

Art. 174b128 IPRG

Bei Verfahren, die in einem sachlichen Zusammenhang stehen, können die beteiligten Behörden und Organe ihre Handlungen untereinander sowie mit ausländischen Behörden und Organen koordinieren.

128 Eingefügt durch Ziff. I des BG vom 16. März 2018, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 3263BBl 2017 4125).

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