Zivilprozess – Zeitpunkt des Aktenschlusses

ZPO 229

Das Bundesgericht hatte sich im vorliegenden Falle 4A_338/2017 zur Frage von Aktenschluss und Vertrauensgrundsatz zu äussern. Dabei bestätigte es seine Rechtsprechung, wonach jede Partei gestützt auf ZPO 229 zweimal (und nicht mehr) die Möglichkeit habe, unbeschränkt Tatsachen zu behaupten oder Behauptungen zu bestreiten und Beweise einzureichen bzw. zu beantragen.

Im Einzelnen:

Grundsätze

Die Parteien haben das Recht, sich zweimal (und nur zweimal) unbeschränkt zu äussern:

  • In welchem Prozessstadium die Parteien Tatsachen zu behaupten und zu bestreiten sowie ihre Beweismittel einzureichen haben, ergebe sich
    • allgemein aus
      • ZPO 221 bis ZPO 226 sowie ZPO 229 Abs. 2
    • in Bezug auf neue Tatsachen und Beweismittel aus
      • ZPO 229 Abs. 1 (erstinstanzliches Verfahren)
      • ZPO 317 Abs. 1 (Berufungsverfahren)
  • Nach der Rechtsprechung könne sich jede Partei nur zweimal unbeschränkt äussern:
    • Ein erstes Mal im Rahmen des ersten Schriftenwechsels
    • ein zweites Mal entweder im Rahmen eines zweiten Schriftenwechsels oder – wenn kein solcher durchgeführt wird – an einer Instruktionsverhandlung (vgl. ZPO 226 Abs. 2) oder „zu Beginn der Hauptverhandlung“ („à l’ouverture des débats principaux“, „all’inizio del dibattimento“) vor den ersten Parteivorträgen (vgl. ZPO 229 Abs. 2) (insofern unpräzis: BGE 140 III 312, Erw. 6.3.2.3, S. 314)
  • Würde es zugelassen, an einer einem doppelten Schriftenwechsel folgenden Instruktions- oder Hauptverhandlung oder nach einem einfachen Schriftenwechsel mit anschliessender Instruktionsverhandlung noch unbeschränkt Tatsachen vorzubringen, wäre die Eventualmaxime in das Ermessen des Gerichts gestellt und eine Partei wüsste von vornherein nie, wann der Aktenschluss eintrete:
    • Ein solches Vorgehen widerspreche einem geordneten und für die Parteien berechenbaren Prozessablauf
    • Die Parteien hätten mithin nur zweimal das Recht, unbeschränkt Tatsachen und Beweismittel vorzutragen.

Keine zeitliche Auftrennung

Eine zeitliche Auftrennung von Einreichen neuer Beweismittel und Vorbringen neuer Tatsachen ist unzulässig:

  • Der Instruktionsrichter hatte an der Instruktionsverhandlung wie in der Vorladung angekündigt neue Beweismittel entgegengenommen; gleichzeitig gab er den Parteien indessen keine Gelegenheit, sich zu ihren Beweismitteln zu äussern und allfällige neue Tatsachen vorzubringen, welche mit den neuen Beweismitteln nachgewiesen werden sollten
  • Diese Auftrennung von Einreichen neuer Beweismittel und Vorbringen neuer Tatsachen war gemäss Bundesgericht unzulässig:
    • Die ZPO verlange eine eindeutige Zuordnung eingereichter Beweismittel zu den damit zu beweisenden Tatsachenbehauptungen
  • Dem Instruktionsrichter stehe es zwar offen, eine Instruktionsverhandlung bloss zum Zweck von Vergleichsverhandlungen anzusetzen, womit die Verhandlung nicht als zweite Gelegenheit der Parteien zu unbeschränktem Vorbringen neuer Tatsachen und Beweismittel dienen und der Aktenschluss anschliessend noch nicht eintreten würde
    • Dies wäre in der Vorladung klar anzugeben
  • Würden die Parteien aber – wie hier – aufgefordert, neue Beweismittel einzureichen, so sollen sie auch die dazugehörenden Tatsachenbehauptungen, welche sie mit ihren neuen Beweismitteln beweisen wollen, vorbringen dürfen
    • Dies war vorliegend nicht geschehen.

Die Beschwerde wurde daher teilweise gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts Luzern aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen.

Quelle

BGer 4A_338/2017 vom 24.11.2017 = BGE 144 III 67

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