Verwandtenunterstützung: Unterstützungspflichtiger in ungünstigen Lebensverhältnissen

ZGB 328

Einleitung

Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden (ZGB 328 Abs. 1). Voraussetzungen sind eine Notlage beim Unterstützungsbedürftigen und günstige Verhältnisse bei seinem Verwandten.

Sachverhalt

Die Klägerin A. (vermutlich die Wohngemeinde des Vaters) verlangt vom Beklagten B. (vermutlich der Sohn) rückwirkend ab 01.05.2013 bis zum Ende der Unterstützungspflicht Unterstützungsbeiträge in der Höhe von CHF 2‘500.– pro Monat, zzgl. Zins zu 5 % auf den bereits fälligen Verpflichtungen. Der Beklagte beantragt die vollumfängliche Abweisung des klägerischen Rechtsbegehrens.

Der Klage von A gegen B lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

  • 08.2004
    • Übertragung der in seinem Alleineigentum stehende landwirtschaftliche Liegenschaft rückwirkend per 27.04.2004 durch den Vater C. auf den Beklagten
    • Beklagter betreibt auf dem Hof eine …-Zucht und …-Handel
  • 05.2012
    • Vater C. weilt infolge Demenz seit diesem Datum in einem Alters- und Pflegeheim der Gemeinde A., wobei die monatlichen Heimkosten rund CHF 5`260 betragen
  • 05.2013
    • Unterstützung von C. von der Klägerin, der Gemeinde A., mittels Sozialhilfe in der Höhe von rund CHF 3`200 pro Monat

Erwägungen des Gerichts

Die Erwägungen des BG Hinwil lassen sich stichwortartig kurz wie folgt zusammenfassen:

  • Grundlagen
    • Massgeblichkeit des Bundesrechts (ZGB 328)
    • Keine Regelungskompetenz des Kantons
    • Keine Rechtsverbindlichkeit der SKOS-Richtlinien, aber Richtschnur für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit des pflichtigen Verwandten
  • Günstige Verhältnisse beim pflichtigen Verwandten
    • Dem Verwandten muss aufgrund seiner finanziellen Gesamtsituation eine wohlhabende Lebensführung möglich sein
    • Erwägungen zu wohlhabendem bzw. gehobenen Lebensstil und Anforderungen
  • Unterstützungsbedürftigkeit des C
    • Unmöglichkeit des C, die Kosten für den Aufenthalt im Alters- und Pflegeheim selber zu bestreiten
    • Annahme einer Notlage
  • Prüfung, ob der pflichtige Verwandte in günstigen Verhältnissen lebt und in der Lage ist, Verwandtenunterstützungsbeiträge zu leisten
    • Bedarf
      • Bedarf des pflichtigen Verwandten und seiner Familie
        • Ermittlung durch Berechnung
      • Ermittlung der gehobenen Lebensführung, die der pflichtige Verwandte weiterhin führen können soll
        • + Zuschlag von 50 %
        • Prozessuale Dispositionsmaxime führt dazu, dass nur den vom Beklagten reduziert geltend gemachten Notbedarf abgestellt werden konnte
    • Einkommen
      • Bestimmung des Einkommen
        • Selbständige Erwerbstätigkeit des Unterhaltspflichtigen
          • Berücksichtigung des Durchschnittseinkommens mehrerer Jahre (i.d.R. von 3 Jahren)
        • Einkommen der Ehefrau
        • Wertschriftenertrag
    • Gegenüberstellung von Bedarf und Einkommen
      • Ergebnis der Gegenüberstellung von mtl. Einkommen und Bedarf
        • Kein Überschuss, welcher es dem unterstützungspflichtigen Verwandten erlauben würde, Verwandtenunterstützungsbeiträge zu erbringen
      • Einkommen nicht ausreichend, Unterstützungsbeiträge zu leisten
    • Vermögensverzehr zG Einkommen, für ev. Unterstützungsbeiträge
      • Prüfung, ob der pflichtige Verwandte unter Berücksichtigung eines Vermögensverzehrs, welcher zum Einkommen hinzuzurechnen wäre, Unterstützungsbeiträge erbringen könnte
        • Beachtung, dass auf das Vermögen des Pflichtigen nicht schon dann gegriffen werden kann, wenn dadurch sein Auskommen in naher Zukunft nicht gefährdet ist
          • Berücksichtigung der wirtschaftlichen Sicherung des Pflichtigen im Alter
          • Nicht berücksichtigt werden dürfen bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit die Anwartschaften bzw. Ansprüche aus der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a) vor Eintritt des Vorsorgefalls
        • Abzug eines Freibetrages vom steuerbaren Vermögen (CHF 500`000 bei Verheirateten und CHF 40`000 pro Kind; vgl. SKOS-Richtlinien, 5. Ausgabe, April 2005, F.4-2)
        • Ermittlung des Vermögensverzehrs vom verbleibenden Betrag mit einer Umwandlungsquote gemäss SKOS-Richtlinien, a.a.O., H.4-1 von:
          • 1/40 bei einem Pflichtigen im Alter von 41- bis 50-Jährigen
          • 1/30 bei einem Pflichtigen im Alter von 51- bis 60-Jährigen
        • Prüfung und Bewertung von Vermögensverzehr-Bestandteilen im konkreten Fall wie
          • Anwartschaft 3. Säule
            • nicht zu berücksichtigen, weil beim Pflichtigen der Vorsorgefall noch nicht eingetreten sei
          • Liegenschaft (Bewertung) ./. Hypothek
            • Keine Hypothekenerhöhung, weil die darauf entfallenden höheren Hypothekarzinsen einen höheren Bedarf des Pflichtigen auslösen würde
            • Kein Liegenschaftenverkauf, weil dadurch dem Pflichtigen die Existenzgrundlage entzogen würde und dies unmittelbare Auswirkungen auf sein Einkommen hätte
              • Begrenzte Handelbarkeit von landwirtschaftlichen Liegenschaften und neg. Einfluss beim Marktwert hätte, weshalb die Parteien übereinstimmend von einer Verkehrswertschätzung Abstand nahmen
    • Ergebnis
      • Beim Unterstützungspflichtigen sind günstige Verhältnisse zu verneinen
      • Der Unterstützungspflichtige ist weder mit seinem Einkommen, noch mit seinem Vermögen in der Lage, Verwandtenunterstützungsbeiträge zu erbringen.

Entscheid des Gerichts

Die Klage wurde vollumfänglich abgewiesen.

Quelle

Bezirksgericht Hinwil

Urteil vom 10.09.2015

FP140030

ZR 115 (2016) Nr. 27, S. 139 ff.

Hinweis der Redaktion

Insgesamt betrachtet handelt es sich hier um einen instruktiven Fall, wie die Geltendmachung der Verwandtenunterstützungspflicht durch eine Sozialhilfe leistende Behörde verlaufen kann.

Weiterführende Informationen / Linktipps

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