Wohnsitz-Begriff

ZGB 23 ff., RHG 3 lit. a + b und DBG 3 Abs. 2

Das Bundesgericht hatte in BGE 2C_270/2012 die Gelegenheit, sich ausführlich mit den Kriterien der Wohnsitznahme auseinanderzusetzen.

Sachverhalt

„A.

X.________, geboren 1981 und unverheiratet, ist schriftenpolizeilich in A.________/SG angemeldet. Mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag als Assistenzzahnarzt in einer Zahnarztpraxis in B.________/BE tätig, beläuft sich sein Arbeitspensum auf 80 Prozent. Aufgrund seiner Berufstätigkeit im Kanton Bern meldete er sich anfänglich in C.________/SO, später in D.________/SO als Wochenaufenthalter an, wozu er einen Heimatausweis hinterlegte. Im Oktober 2010 zog X.________ nach Solothurn. Er bezog eine unbefristet angemietete, unmöblierte Vier-Zimmer-Wohnung, die er sich mit einer Mitbewohnerin teilte. Am 22. Dezember 2010 ersuchte X.________ den Einwohnerdienst der Stadt Solothurn um Eintragung als Wochenaufenthalter. Er machte im Wesentlichen geltend, sein Wohnsitz befinde sich weiterhin in A.________/SG, wohin er mindestens einmal pro Woche zurückkehre. Dort wohne er zusammen mit seiner Mutter und dem Bruder in der mütterlichen Stockwerkeinheit.“ (vgl. BGE 2C_270/2012, a.A.)

Erwägungen

Nachfolgend sollen für ein Speed-Reading die Ausführungen des Bundesgerichts stichwortartig wiedergegeben werden:

  • Objektives Element 
    • =   Äusseres Element
    • >   Aufenthalt
  • Subjektives Element
    • =   Inneres Element
    • >   Absicht
  • Abwägung aufgrund der Indizien
    • Elemente
      • Berufsumstände
      • Familienumstände
      • Lebensumstände
    • Sorgfältige Berücksichtigung
    • Sorgfältige Gewichtung
    • Irrelevanz
      • Wünsche der betreffenden Person
      • Gefühlsmässige Bevorzugung eines Ortes
  • Verheiratete Person
    • im Erwerbsleben
      • unselbständige Erwerbstätigkeit ohne leitende Stellung
        • höhere Gewichtung von persönlichen und familiären Kontakten zum Familienort als zum Arbeitsort
        • tägliche Rückkehr an den Familienort (Pendler)?
        • Regelmässige Rückkehr an Wochenenden an den Familienort (Wochenaufenthalter)?
      • selbständige Erwerbstätigkeit
        • keine Beurteilung im konkreten Rechtsfall, da der Assistenzzahnarzt in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis tätig war
    • im pensionierten Status
      • keine Beurteilung im konkreten Rechtsfall, da Beschwerdeführer 31 Jahre alt und berufstätig war
  • Unverheiratete Person
    • Im Erwerbsleben
      • Unselbständige Erwerbstätigkeit ohne leitende Stellung
        • Freiere Bindung zur elterlichen Familie bei einer unverheirateten Person als jene unter Ehegatten
        • Erhöhte Anforderungen an die Anknüpfung des Wohnsitzes an den Wohnort anderer Familienmitglieder
        • Möglichkeit des Ueberwiegens der Beziehungen zum Arbeitsort selbst bei wöchentlicher Rückkehr zu Eltern oder Geschwistern
          • Wohnung möbelierte oder unmöbelierte Wohnung
          • Bestehen eines Konkubinats
          • Vorhandensein eines Freundes- und Bekanntenkreises
        • Wesentliche Einflussfaktoren
          • Alter der Person
            • Schwelle bei 30 Altersjahren
          • Dauer des Arbeitsverhältnisses
        • Annahme der natürlichen Vermutung, der Lebensmittelpunkt befinde sich am Arbeitsort oder am Ort des Wochenaufenthalts, wenn einer beiden wesentlichen Einflussfaktoren erfüllt ist
          • Wiederlegung der Vermutung durch Nachweis der regelmässig mindestens allwöchentlichen Rückkehr an den Familienort, wo sie pflegt
            • ein besonders enges Verhältnis zur Familie
            • persönliche Beziehungen zu Dritten
          • Erfolgreiche Wiederlegung der Vermutung durch Nachweis des Lebensmittelpunkts zum Familienort
            • Behörden des Arbeitsortes bzw. Wochenaufenthaltsortes obliegt der Gegenbeweis
    • Im pensionierten Status
      • keine Beurteilung im konkreten Rechtsfall, da Beschwerdeführer 31 Jahre alt und berufstätig war

Das Bundesgericht gelangte zu folgendem Entschluss:

„Insgesamt stellen sich die Beziehungen des Beschwerdeführers zur Ostschweiz zwar als erheblich, nicht jedoch als derart eng dar, wie dies die Rechtsprechung verlangt. Sie gehen nicht spürbar über jene Verbundenheit hinaus, die eine unverheiratete Person, die ihre Wochenenden und die Freizeit mit einer gewissen Regelmässigkeit am Wohnort der Eltern oder eines Elternteils verbringt, üblicherweise für den Ort der Kindheit oder Jugend empfindet. Der angefochtene Entscheid ist haltbar und bundesrechtskonform, was zur Abweisung der Beschwerde führt.“ (BGE 2C_270/2012, Erw. 3.5)

Art. 23 ZGB

2. Wohnsitz

a. Begriff

1 Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.1

2 Niemand kann an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben.

3 Die geschäftliche Niederlassung wird von dieser Bestimmung nicht betroffen.

 

Art. 24 ZGB

b. Wechsel im Wohnsitz oder Aufenthalt

1 Der einmal begründete Wohnsitz einer Person bleibt bestehen bis zum Erwerbe eines neuen Wohnsitzes.

2 Ist ein früher begründeter Wohnsitz nicht nachweisbar oder ist ein im Ausland begründeter Wohnsitz aufgegeben und in der Schweiz kein neuer begründet worden, so gilt der Aufenthaltsort als Wohnsitz.

 

Art. 25ZGB

c. Wohnsitz Minderjähriger2

1 Als Wohnsitz des Kindes unter elterlicher Sorge3 gilt der Wohnsitz der Eltern oder, wenn die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, der Wohnsitz des Elternteils, unter dessen Obhut das Kind steht; in den übrigen Fällen gilt sein Aufenthaltsort als Wohnsitz.

2 Bevormundete Kinder haben ihren Wohnsitz am Sitz der Kindesschutzbehörde.4

 

Art. 26ZGB

d. Wohnsitz Volljähriger unter umfassender Beistandschaft

Volljährige unter umfassender Beistandschaft haben ihren Wohnsitz am Sitz der Erwachsenenschutzbehörde.

Art. 3 lit. a und b Begriffe

In diesem Gesetz bedeuten:

a.

Einwohnerregister: manuell oder elektronisch durch den Kanton oder die Gemeinde geführtes Register, in dem alle Personen erfasst sind, die sich im Kanton oder in der Gemeinde niedergelassen haben oder aufhalten;

b.

Niederlassungsgemeinde: Gemeinde, in der sich eine Person in der Absicht dauernden Verbleibens aufhält, um dort den Mittelpunkt ihres Lebens zu begründen, welcher für Dritte erkennbar sein muss; eine Person wird in derjenigen Gemeinde als niedergelassen betrachtet, in der sie das erforderliche Dokument hinterlegt hat, und kann nur eine Niederlassungsgemeinde haben;

Art. 3 DBG

1 Natürliche Personen sind aufgrund persönlicher Zugehörigkeit steuerpflichtig, wenn sie ihren steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz haben.

2 Einen steuerrechtlichen Wohnsitz in der Schweiz hat eine Person, wenn sie sich hier mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält oder wenn ihr das Bundesrecht hier einen besonderen gesetzlichen Wohnsitz zuweist.

3 Einen steuerrechtlichen Aufenthalt in der Schweiz hat eine Person, wenn sie in der Schweiz ungeachtet vorübergehender Unterbrechung:

a.

während mindestens 30 Tagen verweilt und eine Erwerbstätigkeit ausübt;

b.

während mindestens 90 Tagen verweilt und keine Erwerbstätigkeit ausübt.

4 Keinen steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt begründet eine Person, die ihren Wohnsitz im Ausland hat und sich in der Schweiz lediglich zum Besuch einer Lehranstalt oder zur Pflege in einer Heilstätte aufhält.

5 Natürliche Personen sind ferner aufgrund persönlicher Zugehörigkeit am Heimatort steuerpflichtig, wenn sie im Ausland wohnen und dort mit Rücksicht auf ein Arbeitsverhältnis zum Bund oder zu einer andern öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder Anstalt des Inlandes von den Einkommenssteuern ganz oder teilweise befreit sind. Ist der Steuerpflichtige an mehreren Orten heimatberechtigt, so ergibt sich die Steuerpflicht nach dem Bürgerrecht, das er zuletzt erworben hat. Hat er das Schweizer Bürgerrecht nicht, so ist er am Wohnsitz oder am Sitz des Arbeitgebers steuerpflichtig. Die Steuerpflicht erstreckt sich auch auf den Ehegatten und die Kinder im Sinne von Artikel 9.

Quelle

BGE 2C_270/2012 vom 01.12.2012

Weiterführende Informationen / Linktipps

Wohnsitz: Begriffe und Abgrenzungen | wohn-sitz.ch

Die Kommentare sind geschlossen.