Notwegrecht

Dem Bundesgericht wurde im Rahmen des Notwegstreits von BGE 5A_550/2011 folgender Sachverhalt zur Beschwerdebeurteilung präsentiert:

Sachverhalt

„A.

X.________ (Beschwerdeführer) erwarb Ende 2007 das Grundstück Nr. aaa in der

Gemeinde T.________. Die Gemeinde T.________ (Orts- und Schulgemeinde sowie

Tagwen) bildet mit weiteren Gemeinden seit dem 1. Januar 2011 die Gemeinde

G.________ (Beschwerdegegnerin).

B.

Das Grundstück des Beschwerdeführers Nr. aaa ist mit einem Mehrfamilienhaus überbaut. Ab der öffentlichen S.________strasse kann über die Parzellen Nrn. bbb und ccc bis zum Hauseingang und zu den dort gelegenen Einzelgaragen gefahren werden. Die Parzelle Nr. bbb steht im Eigentum der E.________. Sie ist mit einer im Grundbuch als „Fuss- und Fahrwegrecht zugunsten Ortsgemeinde T.________, T.________“ eingetragenen Dienstbarkeit belastet. Bei der Parzelle Nr. ccc handelt es sich um eine Strassenparzelle von 30 m2 (ca. 3 m x 10 m) im Eigentum des Beschwerdeführers.

C.

Im September 2008 stellte der Beschwerdeführer ein Baugesuch für eine Tiefgarage auf seinem Grundstück Nr. aaa. Der Ein- und Ausgang der Tiefgarage war hinter dem Mehrfamilienhaus geplant. Von dort sollte über die Nachbarparzelle Nr. ddd in den öffentlichen W.________weg (Parzelle Nr. eee)und weiter in die V.________-strasse gefahren werden können. Auf der Parzelle Nr. ddd besteht bereits eine asphaltierte Privatstrasse entlang der gemeinsamen Grenze mit dem Grundstück Nr. aaa. Sie ist die unmittelbare Verlängerung des öffentlichen W.________wegs und dient dem Mehrfamilienhaus auf der Parzelle Nr. ddd als Zufahrt mit Autoabstellplätzen. Die Parzellen Nrn. ddd und eee sind Eigentum des Tagwens T.________ und heute der Beschwerdegegnerin. Der Tagwen T.________ bestätigte, dass der W.________weg (Parzelle Nr. eee) eine öffentliche Gemeindestrasse ist, lehnte es hingegen ab, dem Beschwerdeführer ein Zufahrtsrecht über seine Parzelle Nr. ddd einzuräumen. Mangels hinreichender Zufahrt zur Tiefgarage wurde das Baugesuch des Beschwerdeführers abgewiesen. Die kantonalen Rechtsmittel blieben erfolglos (Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus vom 29. September 2010).“

Prozessgeschichte

„D.

Während des Baubewilligungsverfahrens leitete der Beschwerdeführer gegen den Tagwen T.________ bzw. gegen die Beschwerdegegnerin einen Notwegrechtsprozess ein. Er beantragte, zugunsten des Grundstücks Nr. aaa ein Notwegrecht im Sinne eines unbeschränkten Fuss- und Fahrwegrechts zulasten der Parzellen Nrn. ddd und eee einzuräumen, eine angemessene Entschädigung für die Einräumung des Notwegrechts festzulegen und ihn als berechtigt zu erklären, das Notwegrecht gegen Nachweis der Zahlung der Entschädigung zur Eintragung im Grundbuch anzumelden. Die Beschwerdegegnerin schloss auf Abweisung. Das Kantonsgericht Glarus und auf Berufung des Beschwerdeführers hin das Obergericht des Kantons Glarus wiesen die Klagebegehren ab (Urteile vom 23. März 2010 und vom 24. Juni 2011).

E.

Mit Eingabe vom 22. August 2011 erneuert der Beschwerdeführer seine

Klagebegehren vor Bundesgericht mit der Verdeutlichung, dass sich der

beanspruchte Notweg allein auf die Parzelle Nr. ddd im Eigentum der

Beschwerdegegnerin beziehe. Im Eventualstandpunkt beantragt er, die Sache zur Festlegung einer angemessenen Entschädigung für die Einräumung des Notwegrechts an das Obergericht zurückzuweisen. Es sind die kantonalen Akten, hingegen keine Vernehmlassungen eingeholt worden.“

Begründung der Vorinstanz

Die kantonalen Gerichte erachteten die Voraussetzungen für einen Notweg als nicht erfüllt, da das Grundstück des Beschwerdeführers über eine genügende Zufahrt ab der öffentlichen S.________strasse bis vor die Haustür des Mehrfamilienhauses und zu den dort gelegenen Einzelgaragen verfüge [vgl. Erw. 3].

Das Obergericht hat die Wegenot mit folgender Begründung verneint:

Der Beschwerdeführer sei berechtigt, über die Parzellen Nrn. ccc und bbb auf die öffentliche S.________strasse zu fahren. Die Parzelle Nr. ccc – eine Strassenparzelle – stehe im Eigentum des Beschwerdeführers und dürfe von ihm als Zufahrt benutzt werden. Die Überquerung der Parzelle Nr. bbb sei durch das im Grundbuch eingetragene „Fuss- und Fahrwegrecht zugunsten Ortsgemeinde T.________, T.________“ bzw. heute durch das Fuss- und Fahrwegrecht zugunsten der Beschwerdegegnerin sichergestellt. Das Wegrecht bestehe zugunsten der Gemeinde. Es sei somit öffentlich und folglich jedermann berechtigt, über das Grundstück Nr. bbb zu gehen und zu fahren. Der Zugang von der S.________strasse her über die Grundstücke Nrn. bbb und ccc zum Grundstück Nr. aaa sei ausreichend.

Bundesgerichts-Erwägungen

Für die Beurteilung der Wegenot sind in casu relevant:

  • Notweganspruch steht nur dem Grundeigentümer zu, der keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse hat [vgl. ZGB 694 Abs. 1 und Erw. 3.1]
  • Notwegrecht = gesetzliche Eigentumsbeschränkung, eine Art „privatrechtliche Enteignung“ (mit Hinweis) [vgl. Erw. 3]

Hiefür ergeben sich folgende Fragestellungen:

  • Zufahrt von der öffentlichen Strasse bis zum Grundstück des Notweg-Beanspruchers möglich?
  • Beschränkung der Zufahrtsberechtigung durch Fuss- und Fahrwegrechts-(Personal-) Dienstbarkeit?
  • Auslegung des Fuss- und Fahrwegrechts?
    • Inhalt und Umfang der Personaldienstbarkeit
      • Anwendung der Regeln für Grunddienstbarkeiten [vgl. OR 781 Abs. 3]
      • Dienstbarkeit über fremde Grundstücke zu einer öffentlichen Strasse begründet einen genügenden Weg im Sinne von ZGB 694 und schliesst die Wegenot aus [vgl. Erw. 5.1]
      • Gemeinde als Dienstbarkeitsberechtigte
        • nur für die Organe der Gemeinde?
        • zugunsten der Oeffentlichkeit (d.h. Allgemeinheit, sog. „Gemeindeservitut“)?
        • Massgeblichkeit des Erwerbsgrunds (Zweck) [vgl. Erw. 4.3]
  • Lückenhafter Erwerbsgrund (Zweck)
    • Ergänzungsmöglichkeit
    • Frage danach, wie hätten die Parteien, wenn sie heutigen Tatbestand gekannt hätten, den Dienstbarkeitsvertrag vernünftigerweise präzisierend ergänzt [vgl. Erw. 4.4.1]
  • „Salvatorisches Vorgehen“
    • Dienstbarkeitszweck = Anschlussgewährleistung
      • zugunsten der „Allgemeinheit“ = generelles, der Oeffentlichkeit zustehendes Fahrwegrecht
      • Beschränkung des wegberechtigten Personenkreises durch die Zwecksetzung zugunsten der „Allgemeinheit“ [vgl. Erw. 4.4.2 bis 4.4.3]
      • Recht der Wegebenutzung schliesst das Grundstück des Notweg-Beanspruchers mit ein und schliesst damit seine Wegenot aus [vgl. Erw. 4.4.5 und Erw. 5.1].

Aus all diesen Gründen liegt auch nach Ansicht des Bundesgerichts keine Wegenot vor.

Bundesgerichts-Entscheid

Die Beschwerde wurde abgewiesen, soweit darauf einzutreten war.

Quelle

BGE 5A_550/2011 vom 24.10.2011 | polyreg.ch

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