Vertretungsbeistandschaft: Maxime der Subsidiarität und der Verhältnismässigkeit

Erwachsenenschutz

Institut des Vorsorgeauftrags bekräftigt Subsidiaritäts-Maxime

Das Bundesgericht musste in casu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Anordnung einer Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung (ZGB 394 i.V.m. ZGB 395) gegeben waren. 

Obwohl unbestritten war, dass der Beschwerdeführer in finanziellen Angelegenheiten auf Dritthilfe angewiesen war, sah das Bundesgericht die Voraussetzungen für eine entsprechende Anordnung nicht als gegeben an, und zwar aufgrund der Subsidiaritäts-Maxime und der Verhältnismässigkeits-Maxime (Erw. 4.3.1): 

In Art. 389 ZGB unterstellt der Gesetzgeber alle behördlichen Massnahmen des Erwachsenenschutzes den beiden Maximen der Subsidiarität und der Verhältnismässigkeit. Subsidiarität (Art. 389 Abs. 1 ZGB) heisst, dass behördliche Massnahmen nur dann anzuordnen sind, wenn die Betreuung der hilfsbedürftigen Person auf andere Weise nicht angemessen sichergestellt ist (Botschaft vom 28. Juni 2006, zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht] BBl 2006 7042 Ziff. 2.2.1). Ist die gebotene Unterstützung der hilfsbedürftigen Person auf andere Art – durch die Familie, andere nahestehende Personen (vgl. dazu Urteil 5A_663/2013 vom 5. November 2013 E. 3) oder private oder öffentliche Dienste – schon gewährleistet, so ordnet die Erwachsenenschutzbehörde keine Massnahme an (Art. 389 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB). Kommt die Erwachsenenschutzbehörde demgegenüber zum Schluss, die vorhandene Unterstützung der hilfsbedürftigen Person sei nicht ausreichend oder von vornherein ungenügend, so muss ihre behördliche Massnahme verhältnismässig, das heisst erforderlich und geeignet sein (Art. 389 Abs. 2 ZGB). Die Erwachsenenschutzbehörde hat dabei nicht gesetzlich fest umschriebene, starre Massnahmen, sondern „Massnahmen nach Mass“ zu treffen, das heisst solche, die den Bedürfnissen der betroffenen Person entsprechen (Art. 391 Abs. 1 ZGB). Es gilt der Grundsatz „Soviel staatliche Fürsorge wie nötig, so wenig staatlicher Eingriff wie möglich“ (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 7017 Ziff. 1.3.4. a.E.). Dies gilt auch für die Errichtung einer Vertretungsbeistandschaft nach Art. 394 Abs. 1 ZGB.

Aus Sicht des Bundesgerichts (Erw. 4.3.3) würden die vorstehenden Ausführungen auch durch das neue Institut des „Vorsorgeauftrages“ bekräftigt. Mittels eines solchen „Vorsorgeauftrages“ könne die handlungsfähige Person eine andere natürliche oder eine juristische Person beauftragen, im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit die Personensorge oder die Vermögenssorge zu übernehmen und sie im Rechtsverkehr zu vertreten (ZGB 360 Abs. 1). Die Möglichkeit des „Vorsorgeauftrags“ wirke sich auch auf das vorerwähnte Subsidiaritätsprinzip aus: Eine behördliche Massnahme dürfe nur angeordnet werden, wenn eine urteilsunfähige hilfsbedürftige Person keine oder keine ausreichende eigene Vorsorge getroffen habe oder die Massnahmen von Gesetzes wegen nicht genügen würden (ZGB 389 Abs. 1 Ziff. 2).

Da die Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers zum heutigen Zeitpunkt von keiner Seite bestritten sei, und er A. als Vorsorgebeauftragten einsetzen könne, so müsse es ihm auch möglich sein, dessen Hilfe als noch urteilsfähige Person in Anspruch zu nehmen. Das Gleiche gelte für die Unterstützung seitens der Wohn- und Lebensgemeinschaft B. Anders zu entscheiden, meint das Bundesgericht, hiesse, dem Selbstbestimmungsrecht für den Fall der Urteilsunfähigkeit eine grössere Bedeutung beizumessen als den Befugnissen einer (noch) urteilsfähigen Person. Dies sei nicht der Sinn des Gesetzes.

Daher hiess das Bundesgericht die Beschwerde gut und hob die angeordnete Beistandschaft auf.

Quelle

BGE 140 III 49 (BGE 5A_702/2013 vom 10.12.2013)

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