Immobiliarsachenrecht: Miteigentumsimmobilie im Scheidungsfall

ZGB 650 und 651 / ZGB 205 ff.

Das Bundesgericht hatte im Rahmen einer Berufungsstreitigkeit zwischen Ehegatten die finanziellen Folgen der Aufhebung von Miteigentum an einem Grundstück infolge Scheidung und die güterrechtliche Auseinandersetzung in der Errungenschaftsbeteiligung zu beurteilen.

Sachverhalt

Die persönlichen und finanziellen Verhältnisse der Ehegatten hatten folgende Eckdaten:

  • Heirat
    • von A (Ehefrau) und B (Ehemann)
    • 14.11.1986
  • Güterstand
    • Errungenschaftsbeteiligung
  • Immobilienerwerb (Villengrundstück)
    • 04.09.1997
    • Miteigentum je zur Hälfte
    • Refinanzierung Kaufpreis
      • aus Hypothek
      • aus Eigenmitteln von A

Prozessgeschichte

  • Tribunal civil de l’arrondissement de l’Est vaudois (Bezirksgericht)
    • Scheidungsfolgen
    • Zuweisung Villengrundstück an A zu Alleineigentum
    • Verpflichtung von B, A aus Güterrecht einen Betrag von CHF 95‘316 zu bezahlen
  • A erhob das Rechtsmittel ans Kantonsgericht Waadt
  • Kantonsgericht Waadt
    • Scheidungsfolgen > Erhöhung Unterhaltsbeitrag
    • Bestätigung des vorinstanzlichen Entscheids hinsichtlich Liegenschaftenzuweisung und güterrechtliche Auseinandersetzung

Bundesgerichts-Erwägungen

Das Bundesgericht erkannte folgendes:

  • Die Aufhebung des Miteigentums am Grundstück ist vor der güterrechtlichen Auseinandersetzung durchzuführen.
  • Die Aufhebung richtet sich nach den Art. 650 f. und 205 Abs. 2 ZGB.
  • Ihr Ergebnis muss in die verschiedenen Vermögensmassen der Ehegatten, die der Errungenschaftsbeteiligung unterstehen, einbezogen werden, um anschliessend bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung berücksichtigt zu werden (E. 5.1 und 5.2).

Bei der Zuweisung der Liegenschaft durch das Gericht an einen Ehegatten besteht grundsätzlich ein Anspruch des andern Ehegatten auf eine Entschädigung, wobei als Bemessungsgrundlage der Verkehrswert der Liegenschaft dient, wobei im Uebrigen die Bestimmungen über das Miteigentum zu beachten seien.

Dabei ging das Bundesgericht davon aus, dass Miteigentümer-Ehegatten mit je hälftigem Anteil den Mehrwert mit dem andern teilen wollten, ungeachtet der – in casu durch die Ehefrau alleine erbrachten – Finanzierung. Die Ehefrau treffe die Beweislast für ihre gegenteilige Behauptung, sie habe Anspruch auf den Mehrwertanteil, entweder durch Beweis der Nichtigkeit des Grundstückkaufvertrages oder durch Beweis des Bestehens einer internen Vereinbarung der Ehegatten betreffend diesen Mehrwertausgleich.

Dies hat zur Folge, dass der Ehemann B, abgesehen von Hypothekarzins-Beiträgen, ohne Eigenleistungen am Mehrwert gleichviel partizipiert wie die Ehefrau A, die einerseits ebenfalls Hypothekarzins-Beiträge leistete und andererseits aus ihrem Eigengut den Eigenmittelbedarf über die Hypothek hinaus sicherstellte.

Ob sich die Ehegatten beim Miteigentumserwerb der Immobilie je zur Hälfte dieser künftig ungleichen finanziellen Behandlung bewusst waren, steht zu bezweifeln.

Kritik der Lehre

  • Verschiedene Autoren halten dafür, dass die Vorgehensweise des Bundesgerichts von feststehenden Grundsätzen des Ehegüterrechts abweiche und die im ordentlichen Güterstand der „Errungenschaftsbeteiligung“ vorhandene Anspruchsgrundlage von ZGB 206 übergehe.
  • Die hälftige Mehrwertteilung, wie sie das Bundesgericht vorgenommen habe, sei nicht korrekt.
  • Konklusion der Lehre in Stichworten
    • Keine vorgängige, ausserhalb der güterrechtlichen Auseinandersetzung vorzunehmende Miteigentums-Auflösung und lediglich Resultat-Behandlung in der güterrechtlichen Auseinandersetzung
    • Auf die Hypothek entfallende Mehrwertbeteiligung ist je hälftig aufzuteilen
    • Auf den Eigenmittelbeitrag der Ehefrau entfallende Mehrwertbeteiligung ist ihrem Eigengut zuzuordnen.
  • A hat durch ihre Investition ihren ME-Anteil erworben und den ME-Anteil von B finanziert.
  • Damit hat A in einen Vermögensgegenstand von B investiert und nach ZGB 206 Anspruch:
    • auf eine Ersatzforderung
    • auf den Mehrwert, der aus dieser Ersatzforderung resultiert
  • Ehefrau
    • Hypothekarzinsen-Beitrag
    • Mehrwertanteil ist ihrem Eigengut zuzuordnen, wegen der von dieser Gütermasse entstammenden Eigenmittel
  • Ehemann
    • Hypothekarzinsen-Beitrag
    • Mehrwertanteil ist seiner Errungenschaft zuzuordnen (aus Sicht des Ehemannes liegt einer reiner Kreditkauf vor)
    • Ehemann hätte die in seinen Miteigentumsanteil erfolgte Investition und den darauf entfallenden Mehrwert zurückerstatten müssen [vgl. WOLF STEPHAN / THUT DANIEL / SCHMUKI DEBORAH, ZBJV 149 (2013) S. 662 Mitte]

Quelle

BGE 5A_352/2011 vom 17.02.2012 = BGE 138 III 150 = Pra 101 (2012) Nr. 101

Weiterführende Informationen / Linktipps

Exkurs: Miteigentums-Aufhebung im Scheidungsfall | miteigentum.ch

Einfache Gesellschaft: Exkurs „Miteigentümergemeinschaft“ | einfache-gesellschaft.ch

 

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