Replikrecht auch ohne Fristansetzung

Das Bundesgericht hatte sich mit einem Fall zu befassen, wo ein kantonales Verwaltungsgericht dem anwaltlichen Vertreter des Beschwerdeführers am 16. Dezember eine zweiseitige und eine dreiseitige Vernehmlassung zur Kenntnisnahme zustellte. Das Urteil des Gerichts erging am folgenden 18. Januar.

Zu entscheiden war die Rechtsfrage, ob es im schriftlichen gerichtlichen Verfahren grundsätzlich geboten ist, Eingaben den Parteien, die durch einen Anwalt vertreten sind, unter Ansetzung einer Frist zur allfälligen Stellungnahme zuzustellen.

Das Bundesgericht erwog nun in BGE 1C_142/2012 vom 18.12.2012 einstimmig, dass der prozessleitende Richter entsprechend der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg der einen Prozesspartei Gelegenheit zur Stellungnahme zu Eingaben der andern Partei zu geben habe, auch wenn darin weder Wesentliches noch Neues ausgeführt werde. Diese Zustellung müsse aber nicht ausdrücklich mit einer Frist zur Stellungnahme verbunden werden. Die Kenntnisgabe habe im konkreten Einzelfall lediglich, aber immerhin, in geeigneter Weise zu erfolgen.

Der prozessleitende Richter hätte folgende drei Möglichkeiten:

  • Anordnung eines zweiten Schriftenwechsels
  • Ansetzung einer Frist zur Stellungnahme
  • Zustellung einer Eingabe lediglich zur Kenntnisnahme.

Angesichts der rund einmonatigen Dauer für eine unaufgeforderte Stellungnahme hätte der anwaltliche Vertreter, der laut Bundesgericht von der prozessualen Möglichkeit wissen musste und durfte, trotz Weihnachtsferien genügend Zeit gehabt seine Stellungnahme bei Gericht einzureichen. Gemäss Bundesgericht musste der Anwalt wissen, dass ohne umgehende unaufgeforderte Stellungnahme oder ohne seinen Antrag auf Anordnung einer Vernehmlassungsfrist ein Stellungnahme-Verzicht angenommen würde.

Das Bundesgericht konnte in casu offen lassen, ob die Zustellung zur Kenntnisnahme ohne Aufforderung zur Stellungnahme bei einem (Rechts-)Laien ohne anwaltliche Vertretung unter dem Gesichtswinkel der Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausreichend wäre; es steht zu befürchten, dass in seinem solchen Fall diese Zustellungsart nicht genügen würde. 

Quelle

BGE 1C_142/2012 vom 18.12.2012

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