Kassationsgericht des Kantons Zürich – Adieu

Nach 137 Jahren seines Wirkens stellt das Kassationsgericht des Kantons Zürich (KassG ZH) am 30.06.2012 seine Rechtsprechungstätigkeit ein.

An dieses oberste kantonale Gericht konnten zivil- und strafrechtliche Entscheide weitergezogen werden, wenn Verfahrensbeteiligte die Verletzung von Verfahrensrecht rügen wollten. Materielle Entscheide anstelle der Vorinstanz durfte das Gericht nicht treffen; vielmehr konnte es bei Vorliegen von Verfahrensfehlern nur, aber immerhin das Urteil aufheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückweisen.

Das Kassationsgericht war, obwohl es unbeeinflusst Recht sprach, bei den Anwälten beliebter als bei den Richtern der Vorinstanzen und bei den Staatsanwälten.

Das Zürcherische Kassationsgericht passte nicht mehr in das Regelwerk der am 01.01.2011 in Kraft getretenen, eidgenössischen Zivilprozessordnung (ZPO).

Gleichzeitig mit der Aufhebung des Kassationsgerichts lebt die Kritik an der Zürcherischen Rechtswegeordnung wieder auf:

  • Dank Ausnahmebestimmung in der Eidgenössischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) dürfen die Kantone für ihre handelsrechtlichen Streitigkeiten ein Handelsgericht vorsehen (vgl. ZPO 6); von dieser Kompetenzdelegation haben bis heute Gebrauch gemacht: AG, BE, SG und ZH.
  • Allen Verfahrensbeteiligten, deren Streitigkeiten durch ein Handelsgericht zu entscheiden sind bzw. entschieden werden müssen, fehlt im Gegensatz zu allen anderen kantonalen Zivilprozessen die Beurteilung durch eine kantonale Berufungsinstanz; mithin ist die Berufung nicht ans Obergericht des Kantons Zürich, sondern direkt ans Schweizerische Bundesgericht möglich.

Als Voraussetzungen für eine Streitbeurteilung durch ein Handelsgericht gelten:

  • HANDELSRECHTLICHE STREITIGKEIT
  • GESCHÄFTLICHE TÄTIGKEIT MINDESTENS EINER PARTEI
  • ANFECHTBARKEIT MIT BESCHWERDE IN ZIVILSACHEN (min. CHF 30‘000)
  • EINTRAG IM HANDELSREGISTER
  • Ev. WAHLRECHT DER PARTEIEN.
Art. 6 ZPO   Handelsgericht

1 Die Kantone können ein Fachgericht bezeichnen, welches als einzige kantonale Instanz für handelsrechtliche Streitigkeiten zuständig ist (Handelsgericht).

2 Eine Streitigkeit gilt als handelsrechtlich, wenn:

a.

die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist;

b.

gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht offen steht; und

c.

die Parteien im schweizerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen sind.

3 Ist nur die beklagte Partei im schweizerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen, sind aber die übrigen Voraussetzungen erfüllt, so hat die klagende Partei die Wahl zwischen dem Handelsgericht und dem ordentlichen Gericht.

4 Die Kantone können das Handelsgericht ausserdem zuständig erklären für:

a.

Streitigkeiten nach Artikel 5 Absatz 1;

b.

Streitigkeiten aus dem Recht der Handelsgesellschaften und Genossenschaften.

5 Das Handelsgericht ist auch für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen vor Eintritt der Rechtshängigkeit einer Klage zuständig.

Juristen verschiedenster Provenienz meinen nun, dass das aufgabenlose Kassationsgericht die Funktion einer Rechtsmittelinstanz für handelsgerichtliche Entscheide übernehmen könnte. Ob die so ergründete Arbeitsbeschaffungsidee das Kassationsgericht noch vor dem definitiven „Aus“ retten wird, ist mehr als ungewiss. Man darf gespannt sein, wie die Diskussion um den handelsgerichtlichen Instanzentzug weitergehen wird.

Quelle

Brigitte Hürlimann, Die Hüterin des Prozessrechts verstummt – Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wird nach 137-jährigem Bestehen aufgelöst, in NZZ Nr. 137, vom 15.06.2012, S. 13

Dem Zürcher Handelsgericht droht die kalte Abschaffung | tagesanzeiger.ch

Das Handelsgericht in der Kritik | nzz.ch

Weiterführende Informationen / Linktipps

Sachliche Zuständigkeit im Kanton Zürich: Handelsgericht | zivilprozess.ch

Handelsgericht | handelsgericht.ch

 

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